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„Entwicklung hängt von den Menschen ab“

Ein Interview mit Dr. Christian Schulze Pellengahr, Landrat im Kreis Coesfeld

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von Regiomanager 01.02.2018
Dr. Christian Schulze Pellengahr, Landrat im Kreis Coesfeld Foto: Schulze Pellengahr

MLM: Sie sind im Kreis Coesfeld aufgewachsen und haben mit Stationen in Bonn, Wien, Göttingen und Potsdam auch Regionen außerhalb des Münsterlandes erlebt. Was hat Sie in Ihren Heimatkreis zurückgezogen?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Ich schaue gerne auf diese Zeit zurück, in der ich den wichtigen Blick über den Tellerrand wagen konnte. Für mich stand aber immer fest, dass ich wieder zurück ins Münsterland gehen möchte. Ich bin ja in Darup aufgewachsen und ein Großteil meiner Familie und meines Bekanntenkreises lebt im Münsterland. Deshalb war es immer mein Wunsch, an der Entwicklung und Gestaltung meiner münsterländischen Heimat mitzuwirken.

MLM: In einem Artikel war zu lesen, dass der Kreis Coesfeld und das Münsterland in den 70er Jahren als „Armenhaus“ bezeichnet wurden. Wie sieht das heute aus?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Als im Zuge der Gebietsreform der Kreis Coesfeld 1975 in seinem heutigen Zuschnitt gegründet wurde, sah die wirtschaftliche Lage tatsächlich nicht vielversprechend aus. Der Kreis Coesfeld hat seitdem eine rasante Entwicklung genommen: Viele der kleinen und mittelständische Unternehmen sind mit ihrem Know-how europaweit gefragt und suchen händeringend nach Fachkräften. Die Arbeitslosenquote bewegt sich seit längerer Zeit um die 3 %.

MLM: Wie kam es, dass sich der Kreis Coesfeld so stark erneuert hat?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Dass der Kreis Coesfeld wirtschaftlich heute sehr gut dasteht, ist dem zielstrebigen Zusammenwirken von Politik, Verwaltung, Unternehmen und den Menschen vor Ort zu verdanken. So war die Gründung der Wirtschaftsförderungsgesellschaft vor 50 Jahren eine unerlässliche Maßnahme, wie auch das kritische Hinterfragen von Standortfaktoren, wie zum Beispiel der Verkehrsinfrastruktur.

MLM: Der einzelne Mensch scheint im Kreis Coesfeld im Mittelpunkt zu stehen. Ein Beispiel ist, dass der Kreis 2005 dafür optiert hat, dass die Betreuung der SGB-II-Arbeitslosen vom Kreis übernommen wird. Hat sich das bewährt?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Ja, das hat sich vollauf bewährt. Mir ist wichtig, dass wir uns um jede einzelne Bürgerin und um jeden einzelnen Bürger kümmern und die Jobcenter vor Ort nah an den Menschen und ihren Lebensumständen sind. Das hat unter anderem dazu geführt, dass unsere SGB-II-Arbeitslosenquote stabil bei 1,5 Prozent liegt. Der Gedanke, vom Menschen aus zu handeln, hat uns im letzten Jahr außerdem einen Preis des Landes NRW für die kommunale Integration von Flüchtlingen eingebracht.

MLM: Mit welchem Projekt?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Mit unserem Projekt „Transferlernen“. In den flächendeckend angebotenen Integrationskursen wird die Kenntnis der lateinischen Schrift vorausgesetzt. Viele der Neuzugewanderten beherrschen diese allerdings nicht, sondern sind beispielsweise nur in der arabischen Schrift alphabetisiert. Diese Menschen werden grundsätzlich in speziellen Alphabetisierungskursen untergebracht, welche sie jedoch häufig unterfordern, da sie keine Analphabeten sind. Da der grundsätzliche Umgang mit Schrift diesen Personen bereits bekannt ist, kann der Zweitschrifterwerb durch eine spezielle Lerntechnik, welche sich unter anderem auf identische Laute in Ausgangs- und Zielsprache stützt, deutlich beschleunigt werden.

MLM: Schauen wir auf die andere Seite, auf die Unternehmen, die Arbeitskräfte einsetzen und Arbeitsplätze bereitstellen. Wie unterstützt der Kreis Coesfeld diese?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Mit der Wirtschaftsförderungsgesellschaft helfen wir Betrieben beispielsweise bei der Suche nach geeigneten Gewerbeflächen oder qualifizierten Fachkräften. Bei der Ausbildung junger Menschen kommt den drei Berufskollegs in Trägerschaft des Kreises eine ganz zentrale Aufgabe als Schnittstelle zwischen Ausbildung und Berufsleben zu.

MLM: 2016 haben Sie in Ascheberg eine Gründerschmiede auf den Weg gebracht. Welche Bilanz ziehen Sie nach dem ersten Jahr?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Existenzgründungen sind für einen prosperierenden Standort unverzichtbar. Gleichzeitig stellen wir fest, dass bei sehr guter Arbeitsmarktlage die Bereitschaft für eine selbstständige Tätigkeit sinkt. Mit dem münsterlandweiten Projekt gründergeist@münsterland wollen wir gegensteuern. Ein wichtiger Baustein sind unsere Gründerschmieden mit einem speziellen Angebot für grundsätzlich Gründungsinteressierte, die sich aber noch nicht entschieden haben, den Schritt konsequent zu gehen. Die Bilanz nach einem Jahr ist insgesamt positiv.

MLM: Ideen und Engagement sind die eine Seite einer möglichen Gründung. Auf der anderen Seite steht die Infrastruktur. Gerade im eher ländlichen Raum sieht es mit der Internetanbindung, ohne die heute kein Geschäft mehr zu machen ist, ja mau aus.

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Im Kreis Coesfeld hat man die Notwendigkeit einer flächendeckenden Breitbandversorgung frühzeitig erkannt und bereits 2012 einen Breitband-Masterplan entwickelt. Ein Breitbandkoordinator unterstützt Unternehmen, Kommunen und Privatleute beim flächendeckenden Breitbandausbau, sodass mit Abschluss der laufenden Projekte ca. 80 Prozent der Unternehmen und Haushalte Zugang zum schnellen Netz haben.

MLM: Sie sind seit zweieinhalb Jahren im Amt. In dieser Zeit hat sich schon viel getan, unter anderem haben Sie eine Klimaschutzmanagerin eingestellt. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Mich persönlich hat die zweite Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus bewegt, welche die Verantwortung des Menschen für den Schutz von Klima und Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, aus der sich niemand rausreden kann und die schon auf kommunaler Ebene beginnen muss. Dabei knüpfen wir an jahrelange Vorarbeiten des Kreises im Bereich des Klimaschutzes an.

MLM: Die Klimaschutzmanagerin ist ja auch gleich aktiv geworden, hat die Menschen im Kreis Coesfeld bei ihrer Ehre gepackt und für einen häufigeren Wechsel vom Auto zum Fahrrad geworben. Waren Sie auch dabei?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Aber natürlich. Das war ein tolles Projekt, ich bin sogar zu manchem Termin geradelt. 1.419 Radfahrerinnen und Radfahrer haben 264.114 Kilometer im Rahmen des Projektes „Stadtradeln“ zurückgelegt. Das bedeutet eine CO2-Einsparung von 37 Tonnen! Damit haben wir ein deutliches Zeichen gesetzt für Klimaschutz, Gesundheitsförderung und Mobilität zum Nulltarif.

MLM: Nun haben wir nur von Wirtschaft und Klima gesprochen. Dabei gibt es auch viel Natur und einige kulturelle Highlights im Kreis Coesfeld. Was sollte ein Besucher im Kreis Coesfeld unbedingt gesehen haben?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Wer Kultur und Natur genießen möchte, dem empfehle ich einen Spaziergang um die und einen Besuch in der Burg Vischering in Lüdinghausen. Diese hat der Kreis Coesfeld nun für knapp 10 Millionen Euro saniert und im Inneren ein neues Museumskonzept installiert. Ich glaube, dass es nur wenige Museen in Westfalen gibt, die derart modern und ideenreich Geschichte in Szene setzen können.

MLM: Das klingt einladend. Und wie geht es nun weiter? Was ist Ihre Vision für den Kreis Coesfeld?

Dr. Christian Schulze Pellengahr: Die Digitalisierung stellt für die Menschen und auch für die Verwaltung eine riesige Herausforderung dar. Deswegen möchte ich die digitale Verwaltung weiter ausbauen, damit Antragsverfahren und Verwaltungsabläufe vereinfacht und bürgerfreundlich beschleunigt werden.
Dr. Birgit Ebbert | redaktion@regiomanager.de

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