Kolumne

Parallelwelten: Das Start-up-Prinzip oder Anleitung zum Ausbeuten

Die Mitarbeiter zur Mehrarbeit zu bewegen, ohne ihr Gehalt zu erhöhen, ist der Traum vieler Vorgesetzter. Wie dies zu schaffen ist, erklärt Simone Harland.

Avatar
von Regiomanager 07.11.2018
Foto: ©detailblick-foto – stock.adobe.com

Jeder kennt sie: die sogenannten Start-up-Unternehmen, die zwar eine neue Geschäftsidee, aber zunächst meistens nur geringe finanzielle Ressourcen haben. Start-ups leben davon, dass ihre Mitarbeiter fest an die Geschäftsidee glauben und deshalb hoch motiviert und ausgesprochen leistungsbereit sind. Sie arbeiten häufig länger als üblich und unter Umständen auch zu anderen als den herkömmlichen Arbeitszeiten, in der Hoffnung, später die Früchte ihrer Arbeit zu ernten. Dafür können sie auch mal ein Nickerchen im Büro einlegen oder sich bei anderen Aktivitäten regenerieren, um auf weitere Ideen zu kommen. Leben und Arbeiten sind nicht länger getrennt, sondern bilden eine Einheit.
Andere Unternehmen blicken neidvoll auf solche Start-ups, weil sie sich eine derart hohe Arbeitsbereitschaft auch von ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wünschen. Der Neid ist jedoch völlig verfehlt, denn es ist gar nicht schwierig, die Leistungsbereitschaft der Arbeitskräfte im Unternehmen zu erhöhen. Und zwar, ohne ihnen mehr zu zahlen. Man muss nur wissen, wie:

Lassen Sie Ihre Mitarbeiter glauben, sie könnten durch ihre Arbeit etwas Gutes oder gar Großes bewirken. Stellen Sie die Vorzüge heraus, die ihre Arbeit für die Kunden hat. Ein Kfz-Mechatroniker repariert dann nicht nur einfach Autos, er trägt maßgeblich dazu bei, dass die Kunden immer sicher unterwegs sind. Eine Bürofachkraft schreibt nicht nur Briefe, sie sorgt dafür, dass auch Menschen Post bekommen, die sonst nur wenig Außenkontakte haben. Keine Erklärung ist übrigens zu abstrus. Es ist wie mit Fake News: Man muss die Erklärung nur richtig verkaufen und oft genug wiederholen. Irgendwann schenkt ihr (fast) jeder Glauben.

Loben Sie, loben Sie, loben Sie. Je häufiger Sie Ihren Angestellten sagen, was sie gut machen (irgendetwas gibt es immer), umso lieber kommen sie zur Arbeit und umso weniger gern gehen sie nach Hause. Vor allem, wenn dort niemand oder schreiende Kinder warten.

Stellen Sie bevorzugt Menschen mit wenigen Sozialkontakten ein. Schon im Bewerbungsgespräch können Sie herausfinden, wie es um die Geselligkeit Ihrer potenziellen Mitarbeiter bestellt ist. Menschen mit vielen Freunden sollten Sie meiden. Wer wenig Freunde und Bekannte hat, bleibt gerne länger bei der Arbeit.

Auch Bewerber, die aufgrund ihres Alters geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, sind dankbare neue Mitarbeiter. Sie beschweren sich nicht, wenn die Arbeitsbelastung steigt. Sie sind froh, eine Arbeit gefunden zu haben, und werden versuchen, die Aufgaben zu bewältigen – zur Not in ihrer Freizeit und natürlich auch bei Krankheit.
Finanzielle Anreize werden überbewertet. Verschaffen Sie Ihren Mitarbeitern lieber Entscheidungsspielraum. Wer das Gefühl hat, Entscheidungen treffen zu können, ist bei der Arbeit zufriedener und eher bereit, mehr zu arbeiten. Es müssen übrigens keine Entscheidungen mit Tragweite sein. Die treffen immer noch Sie selbst.

Bestimmen Sie den „Mitarbeiter des Monats“ – nach Kriterien, die nur Ihnen bekannt sind. Ihre Angestellten werden darum kämpfen, diese Auszeichnung zu bekommen. Als Preis verleihen Sie einen Massagegutschein oder eine andere geringfügige Gratifikation. Stellen Sie in Aussicht, dass eine Person, die mehrfach (wie oft, bestimmen selbstverständlich auch Sie) „Mitarbeiter des Monats“ wird, eine Reise gewinnt. Diesen Gewinn müssen Sie nie einlösen. Es ist doch nicht Ihre Schuld, wenn immer eine andere Arbeitskraft „Mitarbeiter oder Mitarbeiterin des Monats“ wird.

Ermöglichen Sie Ihren Mitarbeitern kleine Auszeiten. Richten Sie einen Ruhe- und/oder einen kleinen Fitnessraum ein. Die Mitarbeiter werden gerne noch länger bei der Arbeit bleiben, wenn sie Freizeitmöglichkeiten haben. Sollte eine Arbeitskraft diese Möglichkeiten ausnutzen, ohne sie durch Arbeit zu kompensieren, bleiben Sie freundlich, lassen Sie den Mitarbeiter aber wissen, dass er unter Beobachtung steht.

Schieben Sie Gehaltserhöhungen hinaus, indem Sie in der Gehaltsverhandlung fallen lassen, wie schlecht es dem Betrieb geht. Appellieren Sie an die Opferbereitschaft der Arbeitnehmer, ihren Arbeitsplatz durch Mehrarbeit und den Verzicht auf Gehaltserhöhungen zu erhalten.

Seien Sie jedoch gewarnt: Wenn Sie all diese Tipps beherzigen, könnten Ihre Mitarbeiter irgendwann mitbekommen, welches Spiel Sie spielen und Sie zum Ausbeuter erster Klasse ernennen. Und im Vergleich zu einem Start-up, für das die Mitarbeiter leben und das sich auf dem Markt erst noch durchsetzen muss, haben Sie sicher viel zu verlieren.Simone Harland
| redaktion@regiomanager.de

Teilen:

Weitere Inhalte der Serie
Newsletter abonnieren

Newsletter abonnieren und Brancheninfos erhalten

Datenschutz*