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Sterben der Innenstädte: Was kommt nach dem Einzelhandel?

Amazon & Co. und Corona zwingen viele lokale Einzelhändler zur Geschäftsaufgabe. Gegenmaßnahmen werden dringend gesucht.

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von Regiomanager 03.09.2020
Shoppen in den Innenstädten ist heutzutage längst nicht mehr so gefragt wie früher; der lokale Einzelhandel setzt aber zunehmend eigene Ideen um, um die Kunden wieder in die Innenstädte zu locken. (Foto: ©Gerhard Seybert – stock.adobe.com)

Unter dem Boom des Online-Handels leiden nicht nur Karstadt und Kaufhof, sondern alle Einzelhändler. In vielen Städten bahnt sich ein Sterben der Innenstädte an, in denen leer stehende Geschäftsräume auch das letzte Stückchen Shopping-Freude rauben. Die Corona-Krise mit Lockdown und Maskenpflicht bedeutet für viele Einzelhändler den finalen Todesstoß. Und was kommt nach den Ladenlokalen? Damit diese Frage hypothetischer Natur bleibt, versuchen Länder, Kommunen und Händler aktiv, verlorene Kunden zurückzugewinnen.

Zahlreiche Fördertöpfe

Das Land NRW unterstützt seine Einzelhändler mit zahlreichen Projekten und Fördertöpfen. Darunter die Landesinitiative „Zukunft. Innenstadt. Nordrhein-Westfalen“, die zahlreiche Akteure vernetzen und für einen Ideenaustausch zwischen den Kommunen sorgen will, oder den Fördertopf „Digitaler und stationärer Einzelhandel zusammendenken“, der beide Vertriebsformen nicht als Konkurrenz, sondern durchaus als sinnvolle Ergänzung betrachtet. Zudem fördert das Land NRW Digital-Coaches für den Einzelhandel und hat mit dem „Digitalisierungsatlas Handel NRW“ und den „Handelsszenarien 2030“ Studien zur Situation und den Perspektiven des Handels in NRW veröffentlicht, die durchaus Anlass zur Hoffnung geben.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier setzt vor allem auf die Digitalisierung der innerstädtischen Geschäftsprozesse, um das Shoppen und Zeitverbringen für Kunden in den Stadtzentren so attraktiv wie möglich zu gestalten. Die Innenstädte sollen zu einem „Erlebnisraum“ werden: „Wir müssen Konzepte zur Wiederbelebung der Innenstädte entwickeln. Wir wollen verhindern, dass es zu einem Sterben der Geschäfte in den Innenstädten kommt“, so Altmaier.

Corona pusht Online-Handel

Laut des Statistik-Dienstleisters Statista gewinnt der Online-Handel – verstärkt durch die Corona-Krise – deutlich zulasten des stationären Einzelhandels. Während die Umsätze laut „Digital Market Outlook“ von Statista 2017 noch bei 56 Millionen Online-Käufen lag, wird sich die Menge dieser Käufe in Deutschland im Jahr 2024 auf 68,2 Millionen hochgeschraubt haben. Auch sonst zeigen alle Prognosen für den E-Commerce nach oben. Derzeit kaufen knapp 90 Prozent der Deutschen mindestens einmal pro Jahr online ein. Und auch hier zeigt der Blick auf die Statista-Auswertung ein interessantes Bild: Demnach kaufen sogar 31 Prozent der Deutschen mindestens einmal im Monat online ein, 29 Prozent gaben an, mindestens einmal alle zwei Wochen online einzukaufen, und ebenfalls 29 Prozent der befragten Deutschen kaufen sogar mindestens einmal in der Woche online ein. Das größte Marktsegment, in dem online gekauft wird, ist der Bereich Fashion.

Amazon baut Position aus

Marktführer Amazon tut alles, um seine Top-Position auszubauen. So plant der amerikanische Handelsriese aktuell ein neues Verteilzentrum im sauerländischen Wenden. Dies bestätigte Markus Hohmann, Baudezernent der Gemeinde, gegenüber dem REGIO MANAGER: „Aktuell laufen Gespräche zwischen der Gemeinde und Amazon.“ Das geplante Verteilzentrum mit einer Größe von 5.000 bis 10.000 Quadratmetern ist die letzte Etappe vor der Auslieferung. Nachts werden die Waren aus den Lagern der Logistikzentren an die Verteilzentren geliefert und dort für die Auslieferung sortiert und für die Strecken zu den Kunden vorbereitet. Mit der entsprechenden Routenplanung werden die Pakete an den lokalen Lieferpartner übergeben. Ein Amazon-Warenverteilzentrum ging übrigens erst Anfang Juli im münsterländischen Oelde in Betrieb, parallel zu einem weiteren Zentrum in Sachsen-Anhalt.

Altmaier will Einzelhandel stützen

Die desaströse Entwicklung beim lokalen Einzelhandel will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gerade jetzt in der Corona-Krise nicht weiter hinnehmen. Er will Pleiten von kleineren Läden in Innenstädten verhindern. „Jetzt kommt es weniger darauf an, immer neues Geld zu verteilen, sondern darauf, die Attraktivität der Innenstädte zu stärken“, so Altmaier. Die Absenkung der Mehrwertsteuer bis Ende des Jahres wirke nach seiner Beobachtung und trage dazu bei, dass vor allem Investitionen in höherwertige Konsumgüter vorgezogen würden.
Von dem Corona-bedingten Online-Boom solle nicht der Riese Amazon allein profitieren. „Wir müssen den Geschäftsinhabern in den Innenstädten helfen, ihre Kundenbeziehungen so zu digitalisieren, dass es auch den Modeläden und Schuhgeschäften zugutekommt“, sagte er und nannte gleich ein konkretes Beispiel. „Wenn z.B. ein Kunde ein Marken-Hemd online bestellen möchte, sollte er das nicht unbedingt beim Hersteller tun müssen, sondern die Möglichkeit haben, zum gleichen Preis auch über den Einzelhändler seiner Wahl online zu kaufen.“

„Erlebnisraum“ Innenstadt

Altmaier wolle helfen, digitale Angebote für Stadtteilkonzepte zu entwickeln, die dazu führen sollen, dass die Innenstadt als „Erlebnisraum“ wahrgenommen werde. Das eröffne dann auch der Gastronomie neue Möglichkeiten. Der Bund müsse bereit sein, „notwendige Maßnahmen gemeinsam mit Kommunen und Ländern noch stärker zu unterstützen“.
Ins gleiche Horn bläst der Präsident des Handelsverbandes HDE, Josef Sanktjohanser. Er erklärte gegenüber dem REGIO MANAGER, die Corona-Krise werde den Handelsunternehmen abseits des Lebensmittelhandels voraussichtlich Umsatzeinbußen von 40 Milliarden Euro bringen. Dies könne 50.000 Standorte in Deutschland die Existenz kosten. „Wenn schon die erste Welle der Pandemie solch dramatische Folgen im Handel hervorruft, möchte ich mir eine zweite nicht vorstellen“, sagte er. Viele Händler hätten bei erneuten Einschränkungen oder gar einer zweiten Lockdown-Phase keine Chance mehr, der Insolvenz zu entgehen.

Lokale Online-Marktplätze

Gefragt sind also real umsetzbare Konzepte, um sowohl der Pandemie als auch dem Online-Riesen Amazon ein Schnippchen zu schlagen. Eine Möglichkeit, sich diesem Wettbewerb zu stellen, bietet z.B. das Konzept „Local Commerce“. Hierunter werden regionale Online-Marktplätze verstanden, auf denen die lokalen Einzelhändler ihre Waren anbieten können.
Ein Beispiel für einen solchen regionalen Online-Marktplatz ist das „Lozuka Siegen“. Es ist ein regionales Webkaufhaus, das den örtlichen Einzelhändlern aus Siegen (und den Städten in einer Entfernung von circa 20 Minunten um den Stadtkern) die Chance bietet, Produkte online zu bewerben und zu verkaufen. Dadurch wird die Reichweite der lokalen Einzelhändler erhöht. Das „Lozuka“ liefert die online bestellte Ware kostenlos zum Konsumenten nach Hause. Die Preise gelten wie im Ladengeschäft auch. Nach der Bestellung werden die Waren (innerhalb von zwei Zeitfenstern) noch am selben Tag ausgeliefert.
Es gibt aber noch mehr. Spezielle Plattformen, die sich im Zuge der Corona-Pandemie gegründet haben, zeigen Wirkung bei den Endverbrauchern, z.B. die niederrheinischen Portale „Local Gastro“, „Rheinkreishelden“ oder „supportyourlocalhero“ in Mönchengladbach.
Den Portalen ist gemein, dass sie das lokale stationäre Business im Internet zusätzlich ausrichten und damit Amazon, das nur online aktiv ist, als Wettbewerber hinter sich lassen. Erste Erfolge machen den Geschäften im Niederrhein-Gebiet Mut.
Aber es gibt noch mehr Ideen: Einen tollen Strauß an Konzepten bietet die Internet-Plattform www.zukunftdeseinkaufens.de, auf der viele Städte ihre erfolgreichen Ideen anderen präsentieren können.
Unterm Strich gilt: Gerade in der derzeitigen Krise, wo der Online-Handel weiter gewinnt, muss sich jeder lokal agierende Händler ernsthaft überlegen, welchen Mehrwert er dem Kunden überhaupt durch einen Besuch in der stationären Filiale bieten kann, welche einmalige Erfahrung das Ladenlokal attraktiv machen könnte. Dr. Martin Steffan | redaktion@regiomanager.de

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