Mobilität & Logistik

Automotive: Stärkster regionaler Industriezweig

Automotive-Unternehmen stehen vor großen technologischen Herausforderungen: Der Wandel zur Elektromobilität und die Entwicklung zum autonomen Fahren erfordern eine Anpassung des Produkt- und Dienstleistungs-Spektrums.

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von Regiomanager 01.05.2018
Foto: © vege – stock.adobe.com

Autos faszinieren Menschen seit 130 Jahren. Sie sind mehr als ein Fortbewegungsmittel. Sie werden gehegt und gepflegt und avancieren zum Kultobjekt und Sammlerstück. Deutschland hat einen ganz besonderen Bezug zur automobilen Welt. Dort stehen die Zeichen weiter auf Wachstum: Weltweit wurden im vorigen Jahr 95 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge gebaut. Für das Jahr 2030 wird ein Volumen von 123 Millionen Fahrzeugen prognostiziert – ein Plus von 30 Prozent. Die automobile Wertschöpfung soll im gleichen Zeitraum inflationsbereinigt auf über 1,1 Billionen Euro steigen – auch dies ein Zuwachs von rund 30 Prozent.
Die Autoindustrie ist nach dem Maschinenbau in Deutschland die Industriebranche, welche die meisten Menschen beschäftigt. Dabei erlebt „Automotive“ derzeit einen fundamentalen Wandel: Eine beschleunigte Internationalisierung, neue Fertigungsmethoden im Zuge von Industrie 4.0 und vielfältige technische Innovationen insbesondere für E-Mobilität und autonomes Fahren stellen die Unternehmen vor neue Herausforderungen. Dies betrifft nicht nur die Hersteller, sondern vor allem auch die Zulieferer.

Familienunternehmen und Weltkonzerne

Die deutsche Automobil-Zulieferer-Industrie steht mit ihren 300.000 Beschäftigten wie kaum eine andere Branche für Innovationsgeist, globale Präsenz und Leistungsfähigkeit. Dabei ist die Branche alles andere als homogen. Hier treffen Familienunternehmen auf Weltkonzerne, Chiphersteller auf Stahlverarbeiter, Unternehmen mit global Dutzenden Standorten auf kleine Spezialisten, die mit 100 Mitarbeitern an der Zukunft der Mobilität tüfteln. Genauso individuell, wie diese Unternehmen sind, fallen auch die Antworten auf die Zukunftsfragen für jedes einzelne Unternehmen aus: von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Im Moment sieht die Lage gut aus: Die deutschen Zulieferer können auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken und haben ihren Umsatz im vierten Jahr in Folge gesteigert. Mit 75,8 Milliarden Euro übertrafen ihre Erlöse das Vorjahresniveau um gut drei Prozent. Mit inländischen Kunden setzten die Hersteller von Teilen und Zubehör für Kraftwagen 46,9 Milliarden Euro um (plus zwei Prozent). Der Auslandsumsatz legte um gut fünf Prozent auf 28,9 Milliarden Euro zu. Damit stiegen die Exporterlöse stärker als der Inlandsumsatz. Der Standort Deutschland ist und bleibt Heimat der Zulieferunternehmen und bildet u. a. mit Südwestfalen, das als eine der stärksten Automotive-Zulieferer-Regionen Deutschlands gilt, auch den Produktions- und Entwicklungsschwerpunkt.

Motorblock und Katalysator

Aus Meschede kommt der Zwölf-Zylinder-Motorblock für den Mercedes Maybach, in Iserlohn und Attendorn entsteht das komplette Frontend für den Opel Astra, in Soest das Aluminium-Space-Frame für die Topmodelle von Audi, Jaguar, Ferrari und Lamborghini. Die Federn des Ferrari F1 kommen aus Finnentrop, aus Arnsberg stammen die Sicherheitsgurte des Airbus A380 und diverser  Fahrzeugmarken. Das dynamische und intelligente Kurvenlicht wurde in  Lippstadt entwickelt, die mehrfach mit Umweltpreisen ausgezeichneten Katalysatoren und Diesel-Partikelfilter werden in Menden gefertigt. Diese Liste ließe sich schier unendlich fortsetzen, müsste um Schrauben, Zylinder, Rohrleitungen, Fensterheber-Motoren, Kabelbäume, Beleuchtungsmodule, Steckverbinder, Abgastechnik, Zierleisten und nicht zuletzt Fahrassistenz-Systeme ergänzt werden.

Alles in allem investieren private Haushalte in der EU jährlich über eine Billion Euro in ihre Mobilität, in Deutschland sind es pro Kopf rund 2.600 Euro im Jahr; jeder siebte Euro fließt hier in Leistungen, die das Unterwegssein ermöglichen (Europäische Kommission 2016).

Die Automotive-Industrie hat sich als stärkster regionaler Industriezweig behauptet: Unverändert jeder sechste Industriebeschäftigte in Südwestfalen arbeitet auch heute noch bei den Zulieferern der Automobil-, Bahn-, Luft- und Raumfahrtindustrie oder des Schiffbaus. Die Unternehmen, ganz überwiegend mittelständisch strukturiert, erwirtschaften zusammen 25 Prozent des NRW-weiten Automotive-Umsatzes. Jeder zweite Beschäftigte arbeitet an Produkten „Made in Südwestfalen“. Damit liegt – so die aktuelle Untersuchung der Industrie- und Handelskammern in Arnsberg, Hagen und Siegen, die aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des Automotive-Netzwerks Südwestfalen erstellt wurde – der Anteil Südwestfalens an der Automotive-Beschäftigung in NRW bei etwa 21 Prozent. „Südwestfalen gehört zu den stärksten Automotive-Zuliefer-Regionen Deutschlands. Mehr als 500 Unternehmen sind in der Automotive-Industrie tätig. Die Automobil-Zuliefer-Unternehmen in Südwestfalen profitieren derzeit von der guten Automobilkonjunktur weltweit und sind größtenteils sehr gut ausgelastet. Die Zölle auf Stahl und Aluminium sowie die angekündigten Zölle auf Autos und Automobilzulieferteile in den USA führen derzeit allerdings zu einer Verunsicherung“, analysiert Dirk Hackenberg von der Südwestfälische Industrie- und Handelskammer zu Hagen. Er weiß, dass die Automotive-Unternehmen aktuell vor großen technologischen Herausforderungen stehen. „Der Wandel zur Elektromobilität und die Entwicklung zum autonomen Fahren erfordern in vielen Unternehmen eine Anpassung des Produkt- und Dienstleistungs-Spektrums. Zulieferunternehmen sind gut beraten, wenn sie sich frühzeitig mit alternativen Fahrzeugkonzepten auseinandersetzen und analysieren, welche Produkte und Dienstleistungen für die Mobilität von morgen gebraucht werden. Hier gibt es interessante Marktperspektiven für südwestfälische Automobilzulieferer“, ist Hackenberg überzeugt.

Chance und Risiko

Dass die Zukunftsfähigkeit des Verbrennungsmotors infrage steht und das Zeitalter der E-Mobilität eingeläutet wird, stellt die südwestfälischen Automobilzulieferer vor große Herausforderungen. „Der Strukturwandel ist gleichermaßen Chance und Risiko für die Zulieferer. Einerseits sind hiesige Unternehmen bei technischen Lösungen ganz vorne mit dabei, etwa bei der Ladetechnik, der Energieumwandlung und -verteilung oder im Leichtbau. Andererseits fallen Experten zufolge etwa 30 Prozent der Teile weg, die am Verbrennungsmotor hängen, also neben dem Motor und seiner Steuerung auch Getriebe, Abgassysteme, Tank und Leitungen. Das trifft insbesondere viele Metall verarbeitende Betriebe, die ganz überwiegend Einzelteile zu diesen Komponenten fertigen. Diese Unternehmen werden sich also neue Anwendungen und neue Märkte für ihre Produkte suchen müssen“, sagt Thomas Frye, Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik, Innovation und Umwelt bei der IHK Arnsberg, der die oben erwähnte Studie mitverfasst hat.

Netzwerke hoch im Kurs

Die Bildung von Netzwerken und Kooperationen ist in der Region sehr ausgeprägt. Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in Südwestfalen bündeln ihre Kräfte, um dem strukturellen Wandel zu begegnen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Vorreiter ist das Automotive Netzwerk Südwestfalen, in dem 254 produzierende und 91 Dienstleistungsunternehmen mitwirken. „Das Netzwerk wurde vor rund zehn Jahren gegründet, um regionale Kooperationen anzustoßen oder zu vertiefen. Dazu gibt es u. a. eine Kompetenz- und Produkt-Datenbank, regelmäßige Erfahrungsaustausch-Treffen und ein Online-Kommunikationsportal. Außerdem nimmt das Automotive Netzwerk Südwestfalen aktuelle Trends auf und bietet dazu der Branche Informations- und Diskussionsveranstaltungen an“, erklärt Frye die Idee hinter dem Zusammenschluss. Ein weiteres Beispiel für die intensive Zusammenarbeit in der Region ist das 2011 gegründete Kompetenzzentrum Fahrzeug-Elektronik (KFE) in Lippstadt. Das Zentrum wird von zehn Gesellschaftern getragen und unterstützt Unternehmen der Automobilbranche dabei, „Forschungen im Verbund zu nutzen und sich damit neue Potenziale in der Elektromobilität zu erschließen“. Wesentliches Ziel ist es, Unternehmen und Wissenschaft zusammenzubringen und die industrielle Forschung voranzutreiben. Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de

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