Management

„Wir sind dadurch nochmal näher zusammengerückt“

Professor Tom Rüsen vom Wittener Institut für Familienunternehmen erklärt, wie Familienstrategien funktionieren und warum sie wichtiger sind denn je zuvor.

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von Regiomanager 01.04.2016
Foto: © contrastwerkstatt – stock.adobe.com

Familienunternehmen
ticken in vielerlei Hinsicht anders als Betriebe, die ein externes
Management haben. Bestimmte Werte bestehen oft schon seit mehreren
Generationen, die Beziehungen zwischen den Mitgliedern sind
komplizierter, die Identifikation mit der Firma ist häufig intensiver.
Gleichzeitig wird das Markt- und Wettbewerbsumfeld immer komplexer und
herausfordernder. Aus diesen Gründen bedarf es neben einer
Unternehmensstrategie einer expliziten Familienstrategie, findet
Professor Tom Rüsen vom Wittener Institut für Familienunternehmen
(WIFU). Die Bildungseinrichtung an der Privatuni Witten/Herdecke forscht
seit fast 20 Jahren zu sämtlichen Facetten von Familienunternehmen und
organisiert viele Themen-Veranstaltungen, unter anderem den jährlichen
Familienunternehmer-Kongress.
SWM: Herr Professor Rüsen, warum brauchen Familienbetriebe denn extra eine Familienstrategie?

Prof. Tom Rüsen:
Natürlich braucht jedes Unternehmen eine Strategie, um im Markt- und
Wettbewerbsumfeld bestehen zu können. Bei Familienunternehmen liegt die
besondere Herausforderung noch darin, den Betrieb wohlbehalten in die
nächste Generation zu führen. Wir hier in der Forschung nennen es das
„transgenerationale Moment“, das den großen strukturellen Unterschied
macht. Deswegen brauchen Familienunternehmen neben ihrer
Unternehmensstrategie auch eine Familienstrategie. Sie muss vor allem
die Frage beantworten: Wie schaffen wir das, die Familie so
aufzustellen, dass die Nachfolgeregelung funktioniert?

SWM:
Dafür haben Sie am WIFU ein Modell entwickelt, das den Familienunternehmen bei der Umsetzung helfen kann.


Prof. Tom Rüsen:
Genau. Auf Basis verschiedener
Untersuchungen und Forschungsprojekte haben wir uns angeschaut, was
Familien im Rahmen ihrer Familienstrategie wie organisieren sollten. Es
gibt bestimmte Fragen in jedem Familienunternehmen, die jede Familie für
sich beantworten muss. Wie ist unsere Haltung zu Mitarbeitern? Kann
jedes Familienmitglied mitarbeiten, und wenn ja, auf welcher Ebene? In
welcher Form soll sich das Mitglied qualifizieren? Wie werden die
eigenen Mitglieder beurteilt – etwa durch einen familienexternen Beirat?
Unter welchen Bedingungen sollen sie das Unternehmen wieder verlassen
können? Anhand solcher Fragen haben wir unser 12-stufiges Strategierad
entwickelt.

SWM: Was passiert, wenn sich die Familienmitglieder eines Unternehmens auf Antworten zu diesen Fragen geeinigt haben?

Prof. Tom Rüsen:
Die Ergebnisse werden in einem schriftlichen Regelwerk fixiert. Man
könnte es auch eine Charta oder Verfassung nennen, die nicht
rechtsverbindlich ist. Allerdings können Bestandteile davon auch in den
Gesellschaftervertrag übernommen werden. Wichtig ist natürlich auch,
dass geregelt wird, wie mit Verstößen gegen dieses Regelwerk umgegangen
wird. Das ist in einem Familienverbund natürlich ein bisschen anders.
Dennoch muss auch eine Familie ab einem bestimmten Punkt Sanktionen
treffen.

SWM: Zusätzlich haben
Familienunternehmen mit zunehmenden Herausforderungen, vor allem der
Internationalisierung und Digitalisierung, zu kämpfen. So was muss bei
einer Familienstrategie doch auch berücksichtigt werden.

Prof. Tom Rüsen:
Ja, Internationalisierung zum Beispiel ist ein wichtiges Thema, zu dem
wir hier auch forschen. Denn wenn sich Familienmitglieder auf
internationales Terrain begeben, kann das weit reichende Folgen für das
ganze Unternehmen haben. Die Tätigkeit des Unternehmens auf neuen
Märkten und in neuen Regionen ist aber nicht der einzige Faktor. Auch im
Kontext der Familie ist auf „Internationalisierung“ zu achten. Ein
Beispiel: Ein Familienmitglied studiert im Ausland und meldet dort
nichtsahnend seinen ersten Wohnsitz an. Nun droht eine
Wegzugsbesteuerung in nicht unerheblichem Ausmaß, was zur Aufdeckung von
stillen Reserven führt. Ein anderes Beispiel sind neue Ehen: Wenn etwa
ein deutsches Paar aus romantischen Gründen an der irischen Küste
heiratet, schließt sie eine Ehe nach irischem Recht ab, ohne es oft zu
wissen. Wenn der Ehepartner eine andere Nationalität hat, hat dies auch
Auswirkungen. Was heißt das alles bei einer Scheidung für den Zugewinn
der Gemeinschaft oder Ausgleichszahlungen? Solche Fragen müssen geklärt
sein, denn sie können mit einem großen unternehmerischen Risiko
einhergehen.

SWM: Wie sieht es denn in der Praxis aus: Wie viele Betriebe leben eine konkrete Familienstrategie hierzulande?

Prof. Tom Rüsen:
Das ist nicht so klar zu beantworten. Es gibt da verschiedene Studien.
Wir selbst haben 2013 eine Umfrage unter 263 Familienunternehmen in ganz
Deutschland durchgeführt. Von denen gaben rund 27 Prozent an, eine
explizite Familienstrategie zu haben. Da es sich um eine freiwillige
Teilnahme handelte, kann man davon ausgehen, dass die Teilnehmer dem
Thema ohnehin schon aufgeschlossener gegenüberstehen. Insgesamt ist also
zu vermuten, dass die systematische Entwicklung und Fixierung
familienstrategischer Überlegungen noch gering ausgeprägt ist. Generell
kann man aber davon ausgehen, dass eine installierte Familienstrategie
umso wahrscheinlicher ist, je größer das Unternehmen ist.

SWM: Welche Erfahrungen haben Sie bei der Implementierung von Familienstrategien gemacht? Wie ist das Feedback der Unternehmen?

Prof. Tom Rüsen:
Ich erlebe immer wieder, dass die Gesellschafter des Unternehmens
sagen: Wir sind dadurch noch mal näher zusammengerückt. Wir haben uns
besser kennengelernt. Wir haben jetzt eine gute gemeinsame Haltung.

SWM: Also bedeutet Familienstrategie auch immer zusammenhalten – komme, was wolle?

Prof. Tom Rüsen:
Nein, nicht unbedingt. Im Einzelfall kann es auch durchaus eine gute
familienstrategische Entscheidung sein, sich zu trennen. Wenn es große
Differenzen zwischen Familienmitgliedern gibt, die das
Familienunternehmen so tief spalten und schwächen, kann das auch der
richtige Weg sein.

SWM: Herr Professor Rüsen, herzlichen Dank für das Gespräch.
Thomas Corrinth I redaktion@regiomanager.de

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