Nachhaltigkeit ist längst mehr als ein Schlagwort. Sie ist ein handfester Wirtschaftsfaktor –
und für das Handwerk in Nordrhein-Westfalen eine der größten Herausforderungen, gleichzeitig aber auch Chance der kommenden Jahre. Ob Bäcker, Schreiner, Dachdecker oder Kfz-Mechatroniker: Die Frage, wie ressourcenschonend gearbeitet, klimafreundlich produziert und zukunftssicher investiert wird, betrifft alle Gewerke und ist mittlerweile bei fast allen Betrieben angekommen. Die Handwerkskammer Südwestfalen bietet einen Nachhaltigkeits-Selbstcheck für Handwerksbetriebe an und schreibt: „Nachhaltigkeit ist im Handwerk kein Trendthema, sondern gelebter Alltag. Klimaschutz und Energiewende sowie ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen gehören ebenso dazu wie Ausbildung und soziales Engagement.“
Druck von vielen Seiten
Das Handwerk steht unter doppeltem Druck. Einerseits achten Kunden zunehmend auf ökologische Standards und hinterfragen Herkunft, Materialien und Energieverbrauch. Andererseits verschärfen EU, Bund und Land die gesetzlichen Vorgaben – von Energieeffizienz über Abfallvermeidung bis hin zu Lieferkettenpflichten.
Tradition trifft Innovation
Viele Betriebe haben eine lange Tradition – oft über Generationen hinweg. Dieses Bewusstsein wird nun ergänzt durch Innovationsdruck. Besonders sichtbar ist das im Bau- und Baunebengewerbe: Dachdecker, Zimmerer, Elektriker und Heizungsbauer sind zentrale Akteure der Energiewende. Durch die neuen technischen Standards wie Solaranlagen und Wärmepumpen kommen neue Herausforderungen auf die Unternehmen und insbesondere die älteren Mitarbeiter zu. Wer diesen Wandel erfolgreich meistert, hat sein Unternehmen nicht nur nachhaltig, sondern auch zukunftssicher aufgestellt.
Energie und Kreislaufwirtschaft
Zwei Themen stehen besonders im Fokus: Energie und Kreislaufwirtschaft. Beim Thema Energie gehen viele Betriebe bereits voran und rüsten Werkstätten mit Photovoltaik aus, optimieren Heizsysteme oder setzen auf E-Mobilität im Fuhrpark. Förderprogramme des Landes NRW unterstützen Investitionen in erneuerbare Energien und Effizienzmaßnahmen. Im Bereich der Kreislaufwirtschaft werden Materialreste zunehmend wiederverwendet oder recycelt. Aber es geht noch weiter: Schreiner bieten Möbel aus recyceltem Holz, Metallbauer nutzen Rücklaufmaterialien, Bäcker entwickeln Konzepte gegen Lebensmittelverschwendung.
Nachwuchs und Fachkräfte
Nachhaltigkeit ist ein entscheidender Faktor im Wettbewerb um Fachkräfte. Junge Menschen legen Wert auf sinnstiftende Arbeit. Betriebe, die sichtbar nachhaltig wirtschaften, punkten bei Azubis und Mitarbeitern. Eine Inhaberin einer Großbäckerei aus dem Sauerland registriert sogar regelmäßig die Nachfrage nach den Umweltschutzaktivitäten des Unternehmens bereits bei Vorstellungsgesprächen mit Auszubildenden.
Finanzierung und Bürokratie
Trotz aller Fortschritte bleibt die Umsetzung oft mühsam. Investitionen in neue Maschinen, Dämmungen oder alternative Antriebe sind teuer – besonders für kleine Betriebe. Förderprogramme helfen, doch viele Unternehmer klagen über komplizierte Antragsverfahren und unübersichtliche Zuständigkeiten.
Regionale Netzwerke als Treiber
Ein Erfolgsfaktor sind regionale Netzwerke. In NRW haben sich Zusammenschlüsse gebildet, in denen Betriebe Erfahrungen austauschen, gemeinsame Projekte entwickeln und Synergien nutzen. Beispiele sind Energieeffizienz-Clubs, Materialbörsen oder branchenspezifische Innovationszentren. Kooperationen zwischen Handwerk und Wissenschaft sind besonders spannend. Fachhochschulen in Aachen, Dortmund und Münster arbeiten eng mit Betrieben zusammen, um neue Werkstoffe, Recyclingverfahren oder digitale Tools zu entwickeln. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein. Die EU-Taxonomie, strengere Klimaziele und wachsende Verbrauchersensibilität machen Nachhaltigkeit unausweichlich. Nachhaltigkeit im somit auch im Handwerk kein kurzfristiger Trend, sondern ein Transformationsprozess. Er erfordert Investitionen, neue Kompetenzen und Umdenken. Gleichzeitig eröffnet er Chancen für innovative Geschäftsmodelle, attraktive Arbeitsplätze und eine stärkere gesellschaftliche Rolle des Handwerks.
Gerade NRW, mit seiner dichten Handwerkslandschaft und starken Forschungsinfrastruktur, könnte daraus eine Erfolgsgeschichte machen – wenn Betriebe, Politik und Kunden gemeinsam an einem Strang ziehen.
Nachhaltigkeit im Handwerk – Konkrete Maßnahmen zum Einstieg
1. Energieeffizienz steigern
Werkstätten, Büros und Lager mit LED-Beleuchtung ausstatten. Heizsysteme modernisieren oder auf Wärmepumpen umstellen. Maschinen und Geräte regelmäßig warten, um Energieverluste zu vermeiden.
2. Erneuerbare Energien nutzen
Photovoltaikanlagen auf Dächern installieren, Strom selbst erzeugen, Solarthermie oder kleine Blockheizkraftwerke einsetzen, Fuhrpark nach und nach auf E-Fahrzeuge oder Hybrid umstellen.
3. Ressourcenschonende Materialwahl
Regional produzierte Materialien bevorzugen, um Transportwege zu minimieren, Recycling- oder zertifizierte Materialien nutzen (z. B. FSC-Holz, recycelter Stahl), Materialien so planen und zuschneiden, dass Verschnitt minimiert wird.
4. Kreislaufwirtschaft einführen
Restmaterialien wiederverwenden oder weiterverkaufen (z. B. Holzreste, Metall), alte Geräte und Maschinen fachgerecht recyceln, Kooperationen mit lokalen Recyclingbetrieben aufbauen.
5. Abfall und Emissionen reduzieren
Mülltrennung konsequent durchführen, Verpackungen reduzieren oder auf wiederverwendbare/biologisch abbaubare Alternativen umstellen, Staub-, Rauch- und Chemieemissionen durch Filter und geschlossene Systeme minimieren.
6. Nachhaltige Lieferketten prüfen
Lieferanten nach ökologischen Kriterien auswählen (CO₂-Bilanz, Produktionsmethoden), Lieferketten kürzen und lokale Partner bevorzugen, faire Arbeitsbedingungen entlang der Wertschöpfung sicherstellen.
7. Digitalisierung zur Effizienzsteigerung
Projekte digital planen, um Materialverschwendung zu reduzieren, Kundenberatung online oder per App anbieten, um Wege zu sparen, Betriebsabläufe mit Software optimieren (z. B. Zeitpläne, Materialbedarf).
8. Mitarbeiter einbinden und schulen
Fortbildungen zu Ressourcenschonung und Umweltschutz anbieten, Anreize für nachhaltiges Handeln schaffen (z. B. Prämien für Energiesparmaßnahmen), Nachhaltigkeit in den Arbeitsalltag integrieren, nicht nur als Leitbild.
9. Transparenz und Zertifizierung
Nachhaltigkeit dokumentieren und ggf. nach ISO 14001 oder EMAS zertifizieren, umweltfreundliche Maßnahmen aktiv nach außen kommunizieren, um Kunden zu sensibilisieren, Nachhaltigkeitsberichte erstellen, auch für kleine Betriebe in vereinfachter Form.
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