Mit „agilen Methoden“ können Unternehmen ihre Ergebnisse signifikant verbessern. Das belegen verschiedene amerikanische Studien, aber auch Untersuchungen etwa von Kienbaum Consultants (2020). Sie werden inzwischen auf breiter Front angewendet, etwa von den großen Digitalkonzernen aus den USA, aber auch in Deutschland: etwa bei Adidas, Otto Group, Miele oder BMW und verschiedenen Hidden Champions aus dem Mittelstand.
Pragmatismus
Jede User weiß um die „Bugs“ – Programmierfehler in ausnahmslos jeder Software, selbst in Programmen für die Medizin oder Luftfahrt; jede Software bedarf darum kontinuierlicher Verbesserung. Um aber überhaupt ein Programm auf den Markt bringen zu können, braucht es Pragmatismus, Kundennähe und den Mut zur Lücke. Diese Erkenntnis gossen 17 Programmierer im gemeinsamen Skiurlaub in Colorado 2001 in ein „Manifest für agile Software-Entwicklung“: die Geburtsstunde agiler Methoden in der Wirtschaft. Hier seine vier Leitsätze: 1. Bei der Softwareentwicklung sollte der Fokus mehr auf den Individuen und deren Interaktionen liegen und weniger auf den Prozessen und Werkzeugen. Nach den Leitsätzen 2 bis 4 ist eine funktionierende Software wichtiger als deren Dokumentation; die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als das Aushandeln von Verträgen und schließlich: Reagieren auf veränderte Anforderungen ist wichtiger als das Erfüllen eines Plans.
Eigenverantwortliche Teams
Seit einigen Jahrzehnten scheinen sich die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft immer rasanter zu verändern. Das Wort von der „VUKA-Welt“ macht die Runde: Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität. Mit agilen Methoden können sich Unternehmen kleinschrittig durch diese komplexe Welt manövrieren. Krisen wie die Corona-Pandemie haben Organisationen übrigens bereits zwangsläufig agiler gemacht. In der Definition des Beraters Bernd Ettelbrück (TCI Partners) zeichnen sich agile Organisationsweisen aus durch: höheren Einfluss des Kunden auf Unternehmensaktivitäten, verteilte Entscheidungskompetenzen anhand von Fähigkeiten und innerem Antrieb statt anhand der Hierarchie sowie eigenverantwortliche Teams in selbstorganisierten Prozessen statt in straffen Strukturen.
Von Natur aus agil
Diese Strukturen scheinen gut zu mittelständischen Unternehmen zu passen. „Der Mittelstand ist von Natur aus agil, solange der Unternehmer noch an Bord ist“, sagt auch die Unternehmerin und Unternehmensberaterin Julia Lettinger, die eine E-Learning-Plattform für agile Methoden betreibt. „Die Anpassungsfähigkeit an sich verändernde äußere oder innere Umstände ist im Mittelstand sehr hoch, bei großen ‚Tankern‘ wie der Deutschen Telekom oder der Automobilindustrie eher weniger. Übrigens gibt es auch viele kleine und mittelgroße Unternehmen, die agil sind, ohne explizit agile Methoden anzuwenden.“
Größter Nutzen im Chaos
„Die diversen agilen Methoden haben einen gemeinsamen Nenner. Allesamt sind sie das Gegenteil einer sogenannten Wasserfallmethode.“ Julia Lettinger erklärt die „Wasserfallmethode“: „Wie beim klassischen Fließband kommt jeder Schritt nacheinander. Wenn aber in einer langen Kette ein Mitarbeiter etwa durch Krankheit ausfällt und ein Produktionsschritt ausfällt, dann geht es nicht weiter. Agile Methoden dagegen gestalten den Prozess flexibel, so dass er weiterlaufen kann, auch wenn einzelne Themen noch nicht bearbeitet wurden.“ Das bedeutet aber, dass für bestimmte Arten der Wirtschaft agile Methoden ungeeignet sind: exakt geplante Produktion am Fließband beispielsweise, Verwaltung mit ihrem Dokumentationsaufwand und die Bauwirtschaft, bei der die Gewerke nacheinander zum Zuge kommen. Agile Methoden empfehlen sich dagegen, je komplexer und chaotischer eine Aufgabe erscheint. Die sogenannte „Stacey-Matrix“ (Bild) macht diesen Zusammenhang einfach nachvollziehbar.
Scrum
Zu den agilen Methoden, die sich auch für kleine und mittelgroße Unternehmen eignen, gehört zum Beispiel „Scrum“, ein Framework für eine bestimmte Art des Projektmanagements mit schlanken Prozessen, schrittweiser Entwicklung und regelmäßigen Feedbackschleifen. Scrum kommt aus der Softwareentwicklung, wird mittlerweile aber in vielen weiteren Branchen eingesetzt. Das Vorgehen bei Scrum ist aufeinander aufbauend (inkrementell) und wiederholend (iterativ), um so im ständigen Voranschreiten Lösungen zu erarbeiten. Bei Clevis Consult umschreibt man das so: „In einzelnen, in sich abgeschlossenen Phasen (= Sprints) werden nacheinander verschiedene Produktversionen erstellt. Diese Sprints werden so lange wiederholt, bis ein zufriedenstellendes, fertiges Produkt vorliegt. Der Begriff Scrum stammt aus dem Englischen und bedeutet auf Deutsch so viel wie ‚Gedränge‘, z. B. im Rugby. Dies soll die enge Zusammenarbeit im Team und das konzentrierte Arbeiten in Phasen verbildlichen.“
Kanban
„Kanban“ (vom japanischen Wort für Karte oder Tafel) hat sich als System zur Visualisierung von Aufgaben in kleinen Teams bewährt: die Visualisierung von Aufgaben in die Bereiche „To Do“, „Doing“ und „Done“: Alle Aufgaben werden auf Post-Its geschrieben und unter To-Do aufgeklebt. Je nach Arbeitsfortschritt werden die Notizzettel dann unter „Doing“ und nach Fertigstellung unter „Done“ aufgeklebt. „Das hilft dabei, Aufgaben in kleine Einheiten herunterzubrechen“, erklärt Julia Lettinger. „Jeder, der mit mir zusammenarbeitet, guckt auf dieses Board und sieht, wie weit ich bin. So können Teams zusammenarbeiten, jedem wird ein Post-It zugeordnet und so werden die einzelnen Prozessschritte bis zum Ende der Woche visualisiert.“ So ist auch auf einen Blick zu sehen, welche Aufgaben eben am Ende der Woche nicht erledigt wurden. „Ein Kanban-Board in einem kleinen Team einzuführen, kostet gar nichts.“
Holokratie
Einige Geschäftskontakte von Julia Lettinger arbeiten „holokratisch“, unter anderem ein Hersteller plastikfreier Trinkflaschen (Soulbottles) und ein Software-Unternehmen (Consensys). „In holokratisch arbeitenden Unternehmen gibt es keine Hierarchie mehr, nur noch Experten für verschiedene Bereiche und Rollen. Bei Meetings legt man zum Beispiel fest, wer heute in der Rolle des Moderators, wer in der Rolle des Protokollanten und wer in der Rolle des Teams ist. Die Holokratie ist die extremste Form der Agilität, die es im Unternehmen geben kann. Umgekehrt gilt: Je mehr Hierarchien, desto weniger Agilität habe ich.“
Die Einführung agiler Methoden ist grundsätzlich eine Entscheidung der Führungsebene. Nach Julia Lettingers Erfahrung steht diese im Allgemeinen agilen Methoden positiv gegenüber, Skepsis gibt es ab und zu schon eher bei langgedienten Mitarbeitern, die sich von liebgewonnenen Routinen verabschieden sollen. Claas Möller | redaktion@regiomanager.de
Teilen: