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Straßen in NRW: „Zu wenig gekümmert“

Der jahrzehntelange Investitionsstau an der Straßen-Infrastruktur hat NRW zum „Stauland Nummer eins“ gemacht. Brücken bereiten die größten Probleme.

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von Regiomanager 11.07.2023
(© ­­­deagreez − stock.adobe.com)

Nordrhein-Westfalen ist Stauland Nummer eins. Der 14. September vergangenen Jahres ist möglicherweise in Erinnerung geblieben, an diesem Tag erlebte NRW mit 691 Staustunden den stauintensivsten Tag des Jahres. Der Schulstart nach den Ferien und der Mittwoch an sich sorgten für Chaos auf den Straßen: Tatsächlich ist der Wochentag Mittwoch im nordrhein-westfälischen Staugeschehen immer wieder „auffällig“. Gemeinsam mit dem Donnerstag und dem Freitag steht er für die meisten Staumeldungen (611), die meisten Staukilometer (884) und die meisten Staustunden (410).
Mehr als ein Drittel aller Stauereignisse entfielen im Vorjahr bundesweit auf NRW (2021: 32 %). Auch bei den Staukilometern und Staustunden hatte das größte Bundesland mit jeweils einem Drittel unverändert den größten Anteil. Dahinter folgen Bayern (17 %) und Baden-Württemberg (12 %). Insgesamt zählte der ADAC auf den NRW-Autobahnen fast 160.000 Staus. Die Gesamtlänge aller gemeldeten Verkehrsstörungen betrug rund 213.000 Kilometer. Insgesamt zählte der Verkehrsclub 474.000 Staus mit 333.000 Stunden Zeitverlust und einer Gesamtlänge von 833.000 Kilometern. Würde man aus all diesen Staus einen einzigen machen, er ließe sich gut 20-mal um die Erde wickeln.


50 Millionen Wege – jeden Tag


Jeden Tag legen die Menschen an Rhein und Ruhr mehr als 50 Millionen Wege zurück, davon 30 Millionen auf den Straßen. Aber es fahren nicht nur die „Einheimischen“: Nordrhein-Westfalen ist Transitland. Deutlich wird das insbesondere auf den Autobahnen: Durchschnittlich fahren hier 61.000 Fahrzeuge pro Tag. Auf dem am stärksten belasteten Abschnitt auf der A3 zwischen dem Dreieck Köln-Heumar und dem Autobahnkreuz Köln-Ost sind es 170.000 Fahrzeuge, knapp 120 pro Minute in beiden Fahrtrichtungen. Besonders belastet waren in NRW im vergangenen Jahr die A1, A3, A40, A42, A43, A45 und A46. Der Autobahnabschnitt mit den meisten Stauereignissen war die A43 zwischen Wuppertal und Recklinghausen (12.546 Meldungen). Die in Summe längsten Staus gab es mit 14.499 Kilometern auf der A3 zwischen Köln und Oberhausen. Den mit 34 Kilometern längsten Stau in NRW gab es am 15. Juni auf der A1 (Köln–Dortmund) zwischen Remscheid-Lennep und dem Kreuz Dortmund/Unna.


Ende der Lebensdauer


830.000 Kilometer lang ist das deutsche Straßennetz, das Netz der Bundesfernstraßen umfasst 13.000 Kilometer Bundesautobahnen und 38.000 Kilometer Bundesstraßen und bildet damit eines der dichtesten Fernstraßennetze Europas. Aber die Verkehrs-Infrastruktur ist in die Jahre gekommen: Erbaut wurden die meisten Straßen und insbesondere die meisten der 28.000 Brücken zwischen 1965 und 1980, die älteste Brücke stammt aus dem Jahr 1911. Viele dieser Bauwerke erreichen in den kommenden Jahren das Ende ihrer Lebensdauer. Das kommt schneller als gedacht, denn bei der Planung und beim Bau ahnte niemand die Entwicklung auf Deutschlands Straßen: 2010 wurden 3,12 Milliarden Tonnen Güter auf ihnen bewegt, 2030 sollen es 3,63 Milliarden Tonnen sein. „Wir haben uns jahrzehntelang zu wenig um die vorhandene Infrastruktur gekümmert. Das holt uns jetzt mit kaputten Brücken ein“, sagte Oliver Krischer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Er muss sich derzeit um insgesamt 6.422 Brücken kümmern, dazu kommen die Autobahnbrücken, von denen 873 als „besonders sanierungsbedürftig“ eingestuft sind.


Kranke Patienten


Dabei machen nicht nur die Autobahnen Sorgen, auch der Zustand der Bundesstraßen erinnert an kranke Patienten. Dort wird jeder dritte Kilometer als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ eingestuft. Im Landesstraßennetz gilt diese Einschätzung für mehr als die Hälfte der Straßen. Allein für die Brücken im Zuge von Bundes- und Landesstraßen beziffert das Ministerium den Sanierungs- und Erhaltungsbedarf auf gut 1,8 Milliarden Euro. Für 2023 sind aber lediglich 67 Maßnahmen mit einem Volumen von 100 Millionen Euro geplant.


„Brauchen Kraftanstrengung“


„Die Sanierung und der Erhalt unserer Infrastruktur sind entscheidend für die Zukunft unseres Landes. Hier muss der Bund die Prioritäten setzen“; so fordert Minister Krischer „mehr Engagement des Bundesverkehrsministers“. „Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, um die Straßen- und Brückeninfrastruktur zu erhalten“, heißt seine Einschätzung. Die wird von der IHK NRW geteilt: „Der Güterverkehr ist das Rückgrat unserer Wirtschaft, aber wir behandeln ihn zu schlecht“, ist Präsident Ralf Stoffels überzeugt. „Wo grundlegende Reparaturen ausbleiben und nur noch geflickt wird, gibt es mehr Baustellen, Staus und in der Folge oft lange Umwege. Eine leistungsfähige Infrastruktur bleibt die Basis für unseren Wirtschaftsstandort“, wird Stoffels deutlich. Seine Forderung: Entscheidungen müssen schneller getroffen werden.
Diese Einschätzung wird vom ADAC geteilt. Der Verkehrsclub überrascht allerdings mit seinen weiteren Einschätzungen und fordert flexible Arbeitszeitmodell- und Homeoffice-Regelungen. „Wer zwei Tage pro Woche zu Hause bleibt, senkt seinen persönlichen Berufsverkehr um 40 Prozent. Arbeitgeber sollten zudem flexible Arbeitszeitregelungen beibehalten oder einführen. Den Arbeitstag zu Hause beginnen und erst später ins Büro fahren, spart Zeit und Nerven“, ist die Autofahrer-Lobby überzeugt.

Egoistisch auf der Straße

„Ein Tempolimit hilft nicht gegen Stau“, widerspricht Professor Michael Schreckenberg dem Umwelt-Bundesamt (UBA). Deutschlands bekanntester Stauforscher von der Universität Duisburg-Essen untersucht seit 30 Jahren die Entstehung von Autobahn-Staus und kritisiert die aktuelle UBA-Studie. „Gründe für Staus sind Baustellen, Überlastung, Unfälle oder widrige Wetterbedingungen. Staus entstehen nicht bei hohen, sondern bei relativ niedrigen Geschwindigkeiten“, erklärt Professor Schreckenberg in einem Interview mit auto motor und sport. „Erst wird der Verkehr zähfließend, dann bilden sich Stauwellen an Anschlussstellen oder Steigungen. Die Wellen laufen dann mit einer Geschwindigkeit von 12 bis 15 km/h nach hinten“, erläutert Professor Schreckenberg den berühmten „Stau aus dem Nichts“. Eine hohe Verkehrsdichte, ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit: Wenn der erste Fahrer nur kurz langsamer wird, muss der zweite schon deutlich stärker bremsen und ohne zu wissen, warum, müssen Fahrer weiter hinten plötzlich ganz anhalten.“ Zehn bis 20 Prozent der Staus könnte man vermeiden, wenn Menschen sich nicht so egoistisch auf der Straße verhalten würden, sondern etwas zurückhaltender und kooperativer wären“, ist Professor Schreckenberg überzeugt. Der Stauforscher setzt auf das autonome Fahren: „Wenn ausschließlich automatisierte Fahrzeuge unterwegs wären, die alle miteinander kommunizieren, dann könnte die jetzige Kapazität der Straße verdoppelt werden“, sagt Professor Michael Schreckenberg.

Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de

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