Arbeitsrecht

Prüfung von zweifelhaften Krankschreibungen

Bestehen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arbeitnehmers, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern. Diese Zweifel können sich – so das Bundesarbeitsgericht – aus der Art und Weise der Ausstellung des Attestes ergeben. Dr. André Bienek, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Essener Kanzlei ROTTHEGE, ordnet die Entscheidungen richtig ein.

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von REGIO MANAGER 16.01.2024
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Grundsätzlich erbringt eine ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Beweis dafür, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist. Diesen Beweiswert kann der Arbeitgeber dadurch erschüttern, dass er Umstände aufzeigt, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben. Diese Umstände müssen nicht unmittelbar auf das Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen sein.
Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann auch erschüttert sein, wenn der ausstellende Arzt gegen Vorgaben der sog. Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie verstößt, die vom gemeinsamen Bundesausschuss der kassenärztlichen Vereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der Krankenkassen, erlassen wird. Entscheidend ist, dass die nicht eingehaltene Regelung dazu diente, die Arbeitsunfähigkeit nach medizinischen Erkenntnissen sicher festzustellen (BAG, Urteil v. 28.06.2023, 5 AZR 335/22).
Das Bundesarbeitsgericht stellt in diesem Zusammenhang auf die § 4 und § 5 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ab. Darin ist u.a. geregelt, dass eine Arbeitsunfähigkeit nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung festgestellt werden darf, die unmittelbar persönlich oder mittelbar persönlich im Rahmen einer Videosprechstunde zu erfolgen hat. Im Falle einer Videosprechstunde soll ein Attest nicht über einen Zeitraum von drei Kalendertagen hinausgehen, sofern der Patient dem Arzt nicht bereits unmittelbar bekannt ist (§ 4 Abs. 5 AU-RL). Ebenso finden sich dort Fristen zur Ausstellung von Attesten. Beispielsweise ist eine Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und in der Regel nur bis zu drei Tagen rückwirkend zulässig (§ 5 Abs. 3 AU-RL).
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liefert für Personalverantwortliche konkrete Prüfungsansätze bei zweifelhaften Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Bei berechtigten Zweifeln sollte daher auch geprüft werden, ob die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung fristgemäß erteilt und nicht unzulässig rückdatiert wurde. Anhaltspunkte kann auch die Entfernung des Praxissitzes des Arztes zum Wohnort des Arbeitnehmers bieten. Bei einer weiten Entfernung stellt sich die Frage nach der Art der Untersuchung. Erscheint nur eine Videountersuchung möglich, lassen sich zweifelhafte Atteste aufgrund der Dauer der Krankschreibung und – sofern bekannt – der Diagnose aufdecken.

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Dr. André Bienek ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Essener Kanzlei ROTTHEGE (© Siegfried Dammrath)

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