Produktion

Branche im Umbruch

Forciert durch den zunehmenden E-Commerce steckt der Werkzeughandel im Umbruch. Doch die Zukunft ist nicht nur digital. Gefragt sind gute Ideen und klassische Tugenden.

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von Regiomanager 01.04.2017
Foto: © roxcon _stock.adobe.com

Die deutsche Werkzeugindustrie wächst seit dem Krisenjahr 2009 unaufhörlich. Schon zwei Jahre später übertraf sie das Vorkrisenniveau; 2016 registrierte der Fachverband Werkzeugindustrie (FWI) ein Umsatzplus von geschätzten 4,4 Prozent. Für 2015 liegen die letzten validen Zahlen vor. Damals setzte die Branche 4,1 Milliarden Euro um.

Vertriebswege verschwimmen

Ein differenzierteres Bild zeigt jedoch der Werkzeughandel. Wie andere Branchen hat er mit der Nachfolgeproblematik und Konzentrationsprozessen zu tun – und mit sinkenden Margen. Aufgrund seiner Mittlerrolle zwischen Produzenten von Hartwaren und anderen produzierenden Betrieben, etwa dem Handwerk, wird dieser Sektor auch „Produktionsverbindungshandel“ (PVH) genannt – allerdings umfasst er über Werkzeug hinaus auch andere Artikelgruppen, etwa Bauprodukte und Halbzeuge. Früher stand der PVH zwischen der Werkzeugindustrie und ihren Abnehmern. Doch diese klaren Vertriebswege verschwimmen.

Baumärkte visieren Handwerker an

Dazu tragen die Baumärkte bei. Sie führen zunehmend hochwertigere Geräte, da Heimwerker immer qualitätsbewusster werden. Gleichzeitig nehmen sie Handwerker als Kunden ins Visier, etwa mit Drive-in-Zonen. Dem Upgrading im Heimwerkerbereich steht zum Teil ein Downgrading im Profisegment gegenüber: Manche Allround-Handwerker bevorzugen inzwischen eher Produkte mittlerer technischer Qualität und Preisstellung.

Konkurrenz durch Online-Plattformen

„Das Online-Geschäft macht uns zu schaffen“, sagt Dr. Paul Kellerwessel, Präsident des Zentralverbands Hartwarenhandel (ZHH). Branchenübergreifende Marktplätze wie Amazon, Google und eBbay machen dem PVH Marktanteile im B2B-Geschäft streitig. Sie werden vor allem in der Preisgestaltung als Konkurrenz wahrgenommen, so eine Studie von Roland Berger zur „Digitalen Transformation des Großhandels“. Der Blick in die Zukunft macht über 30 Prozent der Hersteller und Händler Angst. Stärker noch als Amazon & Co. fürchtet der Werkzeughandel Direktvertreiber wie Würth oder Hilti mit eigenem Filialnetz – und die eigenen Branchenkollegen.

Preistransparenz drückt Margen

In Deutschland werden erst 14 Prozent der Werkzeuge online gekauft, dagegen noch 42 Prozent im persönlichen Kontakt, wie eine Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung im Auftrag des ZHH ergab. 2030 könnte der Online-Anteil schon bei einem Viertel liegen, ergab eine Umfrage von Roland Berger. In den USA sollen schon heute neun von zehn Profi-Elektrowerkzeugen online verkauft werden. Gerade im Schlüsselsegment Elektrowerkzeuge drückt die Online-Preistransparenz zusammen mit dem Baumarkt-Preisdruck die Margen: „Wenn in den Baumärkten für ein Akkuset z.B. 198 Euro als Preispunkt gesetzt wurde, tut sich der Fachhandel natürlich schwer, für ein von den Funktionen her vergleichbares, aber in der Leistung stärkeres Akkuset 40 oder 50 Euro mehr zu verlangen“, beklagt Dr. Kellerwessel.

Chance Digitalisierung

Doch an die Digitalisierung knüpfen sich auch Hoffnungen. 39 Prozent der Großhändler im PVH konnten ihren Umsatz durch die Digitalisierung steigern, jeder vierte Produktionsverbindungshändler sieht seine Ebit-Marge laut Roland Berger durch die Digitalisierung positiv beeinflusst. Online finden sogar Produkte Käufer, denen der stationäre Fachhandel früher keine Chance gab, bemerkte kürzlich FWI-Präsident Michael Kleinbongartz. „Ein Händler, der sich überhaupt nicht online bewegt, wird Schwierigkeiten haben. Ohne Präsenz im Web sind die Überlebenschancen eher übersichtlich“, sagt ZHH-Präsident Dr. Paul Kellerwessel. Viele Händler haben darum schon eigene Webshops – selbst entwickelte oder an die Corporate Identity des Unternehmens angepasste Shoplösungen der großen Einkaufsverbünde E/D/E, Nordwest und EIS. Toolineo ist ein E/D/E-Werkzeug-Online-Shop, bei dem die Preise angeschlossener Händler angezeigt werden und die Ware vom Wuppertaler Zentrallager aus verschickt wird. Procato ist ein vor allem von Herstellerseite vorangetriebener Online-Shop unter Einbeziehung des Fachhandels mit hochwertiger, umfassender Produktpräsentation. Er wurde jedoch nach kurzer Zeit im Februar 2017 wieder eingestellt.

Gute Ideen

Chancen liegen nicht nur im Web. Die Strategie-Expertin Kerstin Friedrich zeigte der Branche kürzlich auf dem vierten PVH-Kongress an Praxisbeispielen, wie der Handel sich mit guten Ideen spezialisieren kann. Befestigungs-Spezialist Würth etwa sah bei Kundenbesuchen, dass in vielen Werkstätten Unordnung herrschte. Würth entwickelte daraufhin für seine Kunden mit großem Erfolg das Lagerhaltungssystem Orsy. Und Aswo, ein Ersatzteillogistiker für Reparaturbetriebe in der Unterhaltungselektronik und Haustechnik, baute in den 1980er-Jahren die kostenpflichtige Reparaturtipp-Datenbank Euras auf. Aswo hatte zunächst das Ersatzteilproblem gelöst und dann erkannt, dass nunmehr Reparatur-Know-how und Fehlersuchzeiten den eigentlichen Engpass bildeten. Der Werkzeughandel kommt ums Internet nicht herum. Aber ganz klassisch kann er auch mit guten Ideen punkten, die dem Kunden Probleme abnehmen.
Claas Möller | redaktion@regiomanager.de

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Dr. Paul Kellerwessel, Präsident Zentralverband Hartwarenhandel

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