Management

Studienabbruch: Hinschmeißen und Aufsteigen

Studienabbrecher sind für etliche Betriebe attraktiv – aufgrund ihres höheren Lebensalters, ihres Erfahrungshorizontes und ihres Fachwissens. Mitunter locken sogar Kostenvorteile.

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von Regiomanager 08.01.2019
(Foto: ©luckybusiness – stock.adobe.com)

Im Wintersemester 2018/2019 sind so viele Studenten an deutschen Hochschulen eingeschrieben wie niemals zuvor – nicht alle werden dabeibleiben. Fast jeder dritte Student kehrt der Uni nach den ersten Semestern den Rücken. Die sprichwörtliche Flinte ins Korn zu werfen, ist nicht zwingend eine Schwäche. Nicht immer sind Leistungsprobleme oder mangelnde Motivation im Spiel. Ganz im Gegenteil kann der Entschluss, nach mehreren Semestern ein Studium abzubrechen, sogar eine Stärke sein: Weil das Studienfach doch nicht den persönlichen Neigungen entspricht, zwischen Studienerwartungen und Studienwirklichkeit eine deutliche Lücke klafft oder der Student seine Leidenschaft für ein anderes Gebiet entdeckt hat. Ein Bruch im Lebenslauf zeigt, dass die Person auch unbequeme Entscheidungen treffen kann.

Vielfältige Gründe für Abbruch

Die Gründe für einen Studienabbruch sind äußerst vielfältig. Oft steckt der Wunsch nach praktischer Tätigkeit dahinter oder es sind schlicht und einfach Geldsorgen ausschlaggebend für die Entscheidung. Der prominenteste Studienabbrecher ist der einstige Mathematik-Student Bill Gates, der im zweiten Harvard-Studienjahr die Reißleine zog, Microsoft gründete und schließlich zur Software- und Milliardenschmiede aufbaute. René Obermann schmiss sein Studium der Volkswirtschaftslehre hin, um seine eigene Firma, die ABC Telekom, zu gründen. Seit 2018 ist der ehemalige Vorstandschef der Deutschen Telekom Mitglied des Board of Directors von Telenor und seit April Mitglied des Board of Directors von Airbus. Die eigene Geschäftsidee ist allerdings selten die Motivation für den Studienabbruch. Dass das Scheitern an der Uni durchaus auch neue Chancen eröffnen kann, zeigt sich auch darin, dass immer mehr Arbeitgeber die Vorzüge, die mit der Einstellung von Beinahe-Akademikern verbunden sind, entdecken. Trotz ihres Abbruchs haben diese oft ein breites Spektrum an Kenntnissen und Fähigkeiten erworben – auch wenn dieses nicht immer zertifiziert ist.

Ex-Studenten als Azubis von morgen

Immer mehr Jugendliche machen Abitur und entscheiden sich anschließend für ein Studium. Die Konsequenz: In zahlreichen Berufen mangelt es an Nachwuchs. 2017 ist zum achten Mal in Folge die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze gestiegen. Bundesweit blieben rund 49.000 Lehrstellen frei, fast 5.500 mehr als im Vorjahr. Ein Ausweg aus diesem Dilemma kann es sein, Studienabbrecher als Azubis zu rekrutieren. Für viele Ausbildungsbetriebe kann der ehemalige Student, der nach den ersten Semestern die Segel gestrichen hat, attraktiv sein, da er älter und erfahrener ist. Mit dem Abitur in der Tasche besteht an der formalen Qualifikation auch kein Zweifel mehr. Die Ausbildung von Exmatrikulanten hat sogar einige Vorteile zu bieten. Da die Hochschulzugangsberechtigung im Regelfall auf die Ausbildungszeit angerechnet werden kann, verkürzt sich die Ausbildung. Je nach Vorbildung und Qualifikation ist eine Turboausbildung in 18 Monaten möglich. Mit dem Plus an Lebenserfahrung gelingt die reibungslose Integration in bestehende Ausbildungsgruppen. Ehemalige Studenten haben es an der Hochschule bereits gelernt, sich in ein neues Umfeld einzufügen, über den Tellerrand zu blicken und an gemeinsamen Projekten zu arbeiten.

Abbrecher als Fachkräftenachwuchs

Seit Jahren hält der Fachkräftemangel die deutsche Wirtschaft in Atem. Die Situation spitzt sich weiter zu. Um die fortlaufende Gewinnung von Mitarbeitern sicherzustellen, setzen Unternehmen vermehrt auf Studienabbrecher, sofern die Tätigkeit dem Fachbereich des vorherigen Studiums entspricht. Der vermeintliche Knick in der Biografie zählt nicht. Aus der Maschinenbau-Vorlesung zum Feinwerkmechaniker – das ist ein logischer und erfolgversprechender Schritt.
Je nach Anzahl der Semester und dem damit verbunden Fachwissen können Abbrecher ähnlichen Tätigkeiten wie Absolventen nachgehen, und das bei niedrigeren Gehältern. Sie verfügen über eine gute schulische Qualifikation mit Hochschulreife, Fachkenntnisse aus dem Studium, eine selbständige und flexible Arbeitsweise und haben meist auch praxisbezogene Erfahrungen durch Praktika und Nebenjobs. Außerdem stehen sie dem Arbeitsmarkt zeitnah zur Verfügung. Damit aus ehemaligen Studenten leistungsfähige Fachkräfte werden, bedarf es allerdings entsprechender Qualifizierungsangebote. Initiativen wie „Umsteigen Köln“ beraten Unternehmen zu Themen wie Weiterqualifizierung und Finanzierung.

Flagge zeigen lohnt sich

Studienabbrecher wissen die neue Chance, eine besser bezahlte Anstellung zu erreichen, zu schätzen. Sie verfolgen ihren neuen Karriereweg engagiert und zielstrebig. Unternehmen, die bereits Exmatrikulanten ausgebildet und angestellt haben, berichten von einer hohen Motivation und Loyalität der späteren Fachkräfte. Arbeitgeberwechsel sind bei dieser Gruppe seltener als bei anderen Arbeitnehmern. Dies verschafft dem Arbeitgeber mehr Sicherheit bei ausbildungsbezogenen Investitionen. Daher verwundert es nicht, dass Abbrecher heute gezielt umworben werden, etwa auf Studienaussteigermessen oder beim Speed-Dating. Die Rekrutierungsmaßnahmen lassen sich sinnvoll mit einer Employer-Branding-Strategie kombinieren. Die bewusste Ansprache von Studienaussteigern über die Unternehmens-Homepage und Social-Media-Kanäle, Kooperationen mit Hochschulen und Universitäten, IHKs und Arbeitsmarktakteure können geeignete Maßnahmen sein. Verschiedene Initiativen bringen Studienabbrecher und Unternehmen zusammen. In der Domstadt macht „Umsteigen – Fahrplan für Studierende, die sich neu orientieren möchten“ von sich reden. Dabei gehen die Kölner Arbeitsmarktakteure gemeinsam gezielt auf diesen Personenkreis zu, um berufliche Alternativen aufzuzeigen. Das Projekt Switch 2.0 in Aachen bietet Studenten nach dem Abbruch ihres Studiums eine verkürzte Berufsausbildung an und gewinnt so junge Fachkräfte für regionale Akteure. Im Rahmen des Projekts führt die IHK Aachen Beratungsgespräche durch und erstellt Bewerberprofile, die an die ansässigen Unternehmen weitergeleitet werden.

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