Management

Agiles Manifest: Agil ist inzwischen Standard

Seit Veröffentlichung des agilen Manifests sind 20 Jahre vergangen. Obwohl in der IT inzwischen längst Standard, halten viele Mittelständler noch immer am klassischen Projektmanagement fest.

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von Regiomanager 12.08.2021
Anstatt eines großen Projekts werden im agilen Projektmanagement mehrere „Sprints“ nacheinander geschaltet (© Tartila – stock.adobe.com)

Geburtsstunde des agilen Manifests war der Februar 2001, als 17 renommierte Softwareentwickler in Snowbird (Utah) zusammentrafen. Darunter waren u. a. die Scrum-Erfinder Jeff Sutherland und Ken Schwaber oder auch Kent Beck, der Begründer der agilen Methode „Extreme Programming“.
Das Ziel dieser Männer war es, die Softwareentwicklung zu verbessern – und eine Alternative zu den klassischen Entwicklungsprozessen zu finden. Denn aufgrund der enormen Zeitspanne zwischen den Kundenwünschen und der Bereitstellung von Technologien, die diesen entsprachen, mussten viele Projekte eingestellt werden. Keiner der beteiligten Experten ahnte wohl, welche branchenübergreifende Revolution dieses Treffen zur Folge haben sollte.
Das Ergebnis der Zusammenkunft war das „Agile Manifesto“ (deutsch: Agiles Manifest), das Gründungsdokument der agilen Bewegung. Dieses Dokument umfasst im englischen Originalwortlaut gerade einmal 68 Wörter, sollte die Softwareentwicklung jedoch für immer verändern. In den vergangenen 20 Jahren wurde das Manifest von zahllosen Einzelpersonen, Teams und Unternehmen übernommen. Denn obwohl das agile Manifest aus der Softwareentwicklung stammt, sind seine Werte auch auf andere Projekte und Produktionsprozesse anwendbar. So dient es mittlerweile häufig als Referenzmodell für alle Dimensionen des agilen Arbeitens. Im 14. „State of Agile Report“ von Digital.ai aus dem Jahr 2020 gaben 95 Prozent der Befragten an, dass ihre Organisation agile Prozesse einsetzt.
Das agile Manifest besteht aus den vier folgend dargelegten Leitsätzen, die sich von herkömmlichen und traditionellen Vorgehensmodellen abgrenzen. Die Begründer des agilen Manifests betonen, dass ihnen die traditionellen Werte ebenfalls wichtig sind, sie die agilen Werte jedoch höher einschätzen.


1. Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge


Der Mensch steht bei der agilen Softwareentwicklung im Mittelpunkt und hat einen höheren Stellenwert als Prozesse und Tools. Der persönliche Austausch in agilen Teams ist also von zentraler Bedeutung. Außerdem ist es wichtig, regelmäßig Feedback beim Kunden einzuholen und auf Vorschläge und Wünsche zu reagieren.


2. Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation


Während bei der klassischen Softwareentwicklung viel Zeit in Dokumentation investiert wurde, stehen hier die konkreten Arbeitsergebnisse im Vordergrund. Die Erledigung der Aufgabe ist wichtiger, als sich zu lange mit der Dokumentation und Präsentation aufzuhalten.


3. Zusammenarbeit mit Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlung


Der Kunde soll von Beginn an in die Produktentwicklung miteinbezogen werden. Seine Wünsche und Bedürfnisse stehen im Vordergrund. Der direkte Austausch mit dem Kunden ist also wichtiger als Vertragsverhandlungen.


4. Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans


Agile Teams sind sehr anpassungsfähig und reagieren schnell und flexibel auf neue Anforderungen und Herausforderungen. Sie haben zwar selbstverständlich auch einen Plan und Ziele, sind aber bereit, im Sinne des Teams oder des Kunden von diesen abzuweichen.

Die Auswirkungen von
Corona auf agile Methoden

Neben diesen vier Leitsätzen werden im agilen Manifest auch zwölf Prinzipien beschrieben. Einige hiervon werden in Zeiten von Corona auf eine harte Probe gestellt. So lautet eines dieser zwölf Prinzipien: „Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.“ In einer Zeit, in der viele Unternehmen aktuell im Homeoffice arbeiten, ist dieses Prinzip schwer umzusetzen.
Das agile Manifest regt in seinem bereits angesprochenen vierten Leitsatz jedoch auch dazu an, auf Veränderungen einzugehen, statt der strikten Verfolgung eines Plans. Somit ist dieser Leitsatz also ideal auf die veränderten Bedingungen übertragbar, die durch die Pandemie entstanden sind. Im 14. „State of Agile Report“ aus dem vergangenen Jahr nannten 70 Prozent der Befragten die Fähigkeit, veränderte Bedingungen zu bewältigen, als einen der Vorteile von Agilität. Agile Teams dürften also bei der zunehmenden Umstellung auf Remote Work im Vorteil sein, weil sie es besser gewohnt sind, auf Veränderungen einzugehen.
Ein weiteres Prinzip besagt, dass die besten Anforderungen und Entwürfe (und somit auch die besten Ergebnisse) durch selbstorganisierte Teams entstehen. Agilität fordert und fördert die individuellen Skills der Mitarbeiter, indem sie ihnen Verantwortung überträgt und kreative Gestaltungsmöglichkeiten einräumt. Gerade im Remote Work spielt Selbstorganisation eine entscheidende Rolle. Die Arbeitnehmer haben im Homeoffice in der Regel mehr Freiraum, jedoch auch ein höheres Maß an Verantwortung. Dadurch wird der Weg geebnet für effektivere und erfolgreichere Projektverläufe.

Faux Agile und Dark Agile

Doch es gibt auch agile Anwendungen, die der ursprünglichen Absicht der Agilität widersprechen. So spricht man von „Faux Agile“ („falsches Agile“) oder „Dark Agile“ („dunkles Agile“), wenn Teams den Eindruck haben, dass sie nach agilen Methoden arbeiten – obwohl dies eigentlich nicht der Fall ist. Einige Negativbeispiele sind ungesunde Arbeitsgeschwindigkeiten oder das starre Befolgen von Prozessen ohne Berücksichtigung von Prinzipien. Der Versuch, agile Methoden zu etablieren, kann auch dann schiefgehen, wenn Mitarbeitende bereits negative Erfahrungen mit vorherigen Veränderungsprozessen gemacht haben. Sie sind entsprechend weniger offen für Neues und halten lieber an alten Prozessen fest.

Wie Agilität gelingen kann

Als wichtigste Probleme bei der Skalierung von agilen Methoden in Unternehmen gaben die Befragten im 14. „State of Agile Report“ „Allgemeine Widerstandsfähigkeit der Organisation gegen Veränderungen“ (48 Prozent) sowie „Nicht genügend Beteiligung der Führung“ (46 Prozent) an. Damit Agilität also gelingen kann, sollten neue Methoden nicht einfach über alte Prozesse gestülpt werden. Agile Methoden sollten sich gemeinsam mit der Unternehmenskultur entwickeln. Die Werte aus dem Manifest sollten von den Teams auf ihre konkrete Situation übertragen werden. Außerdem muss die Bereitschaft zu einem Kulturwandel vorhanden sein, damit die Transformation hin zu mehr Agilität in den Teams und der Organisation gelingen kann. Daher ist es wichtig, dass Führungskräfte alle Mitarbeiter in den Entwicklungs- und Veränderungsprozess miteinbeziehen.

Luft nach oben

Während in der IT-Welt praktisch durchgehend mit agilen Methoden gearbeitet wird, ist Agiles Projektmanagement für ein Drittel der Mittelständler gar kein strategisches Thema, so eine Studie der Internationalen Hochschule IU von 2019. Die wirklich erschreckende Erkenntnis der Studie: Die Hälfte der Unternehmen, bei denen Agilität kein Thema ist, geben an, dass sie überhaupt nicht wissen, was das ist.
Viel Luft nach oben attestiert auch eine Lünendonk-Studie von 2020. Demnach gab nur ein Drittel der befragten Unternehmen an, agile Projekte im eigenen Unternehmen erfolgreich planen und umsetzen zu können.
Kevin Braun | redaktion@regiomanager.de

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