Management

Gesundheitscheck fürs Unternehmen

In volatilen Zeiten tun Firmenlenker gut daran, sich auf mögliche Krisensituationen gründlich vorzubereiten. Worst-Case-Szenarien helfen dabei, frühzeitig die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.

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von Regiomanager 01.03.2016
Foto: © fovito – stock.adobe.com

Es war im Herbst 2008, als eine Krise ungeahnten Ausmaßes ausbrach. Was als US-Virus begann, grassierte als Epidemie bald in Europa und in Deutschland. Erste-Hilfe-Maßnahmen nach dem Rezept „Kosten runter, Liquidität sichern“ kamen in vielen Fällen zu spät. Wer jedoch gut vorbereitet operieren konnte, überstand die Krankheit. Ein Mittelständler, der gesundete und sogar gestärkt aus der Krise hervorging, ist die Murtfeldt Kunststoffe GmbH & Co. KG mit Sitz in Dortmund.
„Wir haben in den Jahren 2008/2009 u.a. davon profitiert, dass wir bereits ein flexibles Arbeitszeitmodell eingeführt hatten“, sagt Andreas Balla, kaufmännischer Leiter bei dem Hersteller für technische Kunststoffe. Da die Mitarbeiter die auf Arbeitszeitkonten angesammelten Guthaben-Stunden aufzehrten, als Murtfeldt die Produktion herunterfuhr, musste niemand entlassen werden. Zudem setzte das Unternehmen eine spezielle Software zur Produktivitätssteuerung ein. „Das Zeiterfassungsprogramm gleicht die Anwesenheitsminuten der Mitarbeiter in der Produktion mit den tatsächlichen Arbeitsminuten ab”, erklärt Balla. So lässt sich feststellen, wer wann an Kundenaufträgen arbeitet und wer einfach nur „da ist“. Ziel des Instruments ist es, diejenigen, die aufgrund von Auftragsrückgängen weniger zu tun haben, an anderer Stelle im Unternehmen sinnvoller einzusetzen.
„Natürlich waren wir nicht auf eine Wirtschaftskrise dieses Ausmaßes vorbereitet“, sagt Balla. Doch die Maßnahmen, die er eingeleitet hatte, erlaubten es Murtfeldt, im Abschwung flexibel zu reagieren und sich keine Chancen für die Zukunft zu verbauen. „Wir haben in dieser Zeit gesehen, wie wichtig es ist, eventuelle Krisen einzuplanen“, erklärt der kaufmännische Leiter. Heute beobachten alle Entscheider neue Entwicklungen und stellen sich die Frage nach den Auswirkungen. Es sei unerlässlich, ein Unternehmen so aufzustellen, dass es in kritischen Situationen flexibel reagieren kann.

Volatilität
als Normalzustand

Wie Balla denken inzwischen viele mittelständische Firmenlenker. „Die meisten Unternehmer haben die Finanz- und Wirtschaftskrise als so schwer erlebt, dass sie sich für alle künftigen Situationen wappnen möchten“, sagt Christoph Kneip, Bereichsvorstand Familienunternehmen bei KPMG. Das ist wichtig, denn in volatilen Zeiten ist es mit langfristigen Businessplänen nicht mehr getan. „Und Volatilität ist heute der Normalzustand“, erklärt Christian Fischer, Senior Partner, CC Restructuring & Corporate Finance bei Roland Berger.
Die Studie mit dem Titel „Smart Efficiency“, die Fischer und weitere Experten von Roland Berger erstellt haben, nennt diese neue Welt der Unwägbarkeiten „VUCA-Welt“. Dabei gesellen sich zur Volatilität Ungewissheit (uncertainity), Komplexität (complexity) und die Mehrdeutigkeit von Entwicklungen (ambiguity). Fischer rät Firmenchefs daher, frühzeitig zu analysieren, ob etwa neue Gesetze oder bestimmte Marktentwicklungen Gefahren für das eigene
Unternehmen bergen.
Das mag simpel erscheinen. Oft ist es jedoch gerade das Spiel „Was wäre, wenn …?“, das Mittelständler verpassen. Oft sind es die nicht angestellten Überlegungen, die Unternehmen in eine Krise bringen – bis hin zur Restrukturierung. „Natürlich beobachten Firmen ihre Auftragseingänge, die Marktentwicklung, ermitteln Kunden- und die Mitarbeiterzufriedenheit“, sagt Lutz Jäde, Partner bei der Managementberatung Oliver Wyman und Leiter Restrukturierung. „Doch sie sollten auch Transparenz hinsichtlich der Profitabilität einzelner Produkte oder Kunden schaffen, sich die Eigenkapitalquote, ihre Liquidität und den Verschuldungsgrad anschauen“, rät er.
Nur so könnten sie sich ein Bild von ihrer tatsächlichen finanziellen Situation machen und ihre Krisenanfälligkeit prüfen. „Dabei ist es gut, Worst-Case-Szenarien zu betrachten, denn daraus lassen sich wichtige Schritte ableiten, die Restrukturierungen verhindern“, erläutert Jäde. Viele Mittelständler seien noch nicht so weit. Der Grund: Gerade Unternehmen mit Umsätzen bis zu 500 Millionen Euro beschäftigten sich meist zuerst mit ihrem operativen Geschäft, mit ihren Märkten. Finanzen spielen in Managementsitzungen oft eine untergeordnete Rolle.

Die Firma komplett
durchleuchten

Doch genau diese Nachlässigkeit sei es, die vor allem Wachstumsunternehmen, deren Umsatz langsam eine Milliarde Euro ansteuert, oft in eine Restrukturierung bringe. „Gerade in solchen Firmen dürfen die Strukturen nicht hinter dem Wachstum zurückbleiben“, mahnt Jäde. Auch allen anderen Mittelständlern empfiehlt er, immer jedes einzelne Geschäftsfeld zu betrachten, sich nie nur auf den Gesamtumsatz zu konzentrieren. „Alle Prozesse, Bereiche und Kundengruppen sollten einzeln unter die Lupe genommen werden“, sagt er. „Erst dann können Unternehmer in Szenarien sinnvoll durchspielen, was passiert, wenn welche Veränderung eintritt.“
Szenarien helfen dabei, die Zukunft zumindest ansatzweise zu antizipieren. Allerdings kosten sie Zeit. Darüber hinaus wissen Unternehmer zuweilen nicht, wo sie konkrete Ansatzpunkte finden. Helfen kann das Programm „Smart Efficiency“, das Roland Berger entwickelt hat. „Dabei betrachten wir zum einen die Effizienz eines Unternehmens, die wir über die Rendite messen“, erklärt Experte Christian Fischer. Zum anderen kommt die Anpassungsfähigkeit auf den Prüfstand, die Elastizität. „Beide Aspekte werden innerhalb von vier Wochen mit einer Art 360-Grad-Radar untersucht“, sagt Fischer. „Um herauszufinden, wie gut sich ein Unternehmen an Schwankungen und Krisen anpassen kann, nehmen wir den Break-even als Messpunkt“, erklärt er. Den Punkt also, ab dem ein Markteinbruch einen bestimmten Geschäftsbereich und damit das Ergebnis des gesamten Unternehmens ins Minus drücken würde. Die Spanne zwischen diesem Punkt und der Zielrendite des entsprechenden Geschäftsbereichs ist der Korridor, in dem sich das Unternehmen bewegen kann.

Zwischen Rendite und
Flexibilität

„Dabei stellt sich immer die Frage, ob ich bereit bin, auf etwas Rendite zu verzichten, um im Falle einer künftigen Krise flexibler reagieren zu können“, sagt Fischer. So kann ein Firmenchef etwa darüber nachdenken, ob er seine Rendite steigern möchte, indem er über Mindestabnahmemengen Rabatte bei seinen Lieferanten erzielt. Oder ob er sich die Möglichkeit sichern will, die Abnahmemenge im Falle von Auftragseinbrüchen flexibel zu reduzieren. „Zuweilen entstehen solche Zielkonflikte“, erläutert Fischer. Diese müsse jeder Unternehmer für sich entscheiden. Wichtig sei nur, dass er weiß, welche Wege zwischen Rendite und Elastizität er beschreiten kann. Ohne Szenarien ist dies schwierig.
Murtfeldt-Prokurist Andreas Balla hat ein Szenario vor einiger Zeit durchgespielt – und gehandelt. „Wir haben einen 3D-Drucker angeschafft“, berichtet er. Zwar ließen sich präzise technische Kunststoffe, wie Murtfeldt sie herstellt, mit 3D-Druckern bisher nicht produzieren. „Aber das könnte sich in Zukunft ändern“, sagt Balla. Für eine solche Zukunft möchte er gerüstet sein, damit sein Unternehmen auch eventuelle neue Krisen gesund übersteht.

Andrea Martens I redaktion@regiomanager.de

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