Produktion

Wilhelm Jungermann: Stahlhandel mit Weitblick

Das familiengeführte Traditionsunternehmen Wilhelm Jungermann beliefert von Remscheid aus Kunden in ganz Europa und Südamerika.

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Wilhelm Jungermann

07.07.2025
Die neue Lagerhalle der Wilhelm Jungermann GmbH

Der Stahlhandel ist ganz offensichtlich eine Wissenschaft für sich. In dem Nachschlagewerk „Stahlschlüssel“, welches früher einmal im DIN A4-Format mit über 720 Seiten als Buch existierte, sind alle Stahlsorten aufgelistet. „Insgesamt sind das mehr als 75.000 verschiedene Marken und Normen von etwa 300 Stahlwerken und Lieferanten“, erklärt Reyna Neuhaus, Geschäftsführerin der Wilhelm Jungermann GmbH in Remscheid. „Stahl ist ein hochkomplexes Produkt. Wir handeln überwiegend mit legierten und unlegierten Edelbaustählen, Werkzeugstählen, Schnellarbeitsstählen in blanker und gewalzter Ausführung und mit rost- und säurebeständigen Stählen.“

Konkret heißt das zum Beispiel: Was einmal in den etwa 2.000 Quadratmeter großen Hallen in Remscheid lagerte, verwandelt sich irgendwann in Profiwerkzeuge wie Schraubendreher, Inbusschlüssel, Bits oder Meißel. „Auch Körner und Durchschläge werden aus unserem Werkzeugstahl produziert. Die legierten Edelbaustähle sind für Produkte in der Pumpenindustrie und für die E-Bike-Produktion gefragt, sowie für Spezialwerkzeuge zur Verwendung im Automobilbau“, veranschaulicht Reyna Neuhaus.

Wenn in einem gemauerten Haus Löcher für Steckdosen entstehen sollen, greift man zu speziellen Bohrkronen, die ebenfalls aus besonderem Stahl gefertigt werden. In den Hallen der Wilhelm Jungermann GmbH lagern etwa 1.800 bis 2.000 Tonnen davon. Wenn derzeit die Branche über Umsatzeinbußen klagt und mit der Billigkonkurrenz aus China kämpfen muss, dann berührt das das Team des Remscheider Traditionsunternehmens auch. „Wir punkten trotzdem mit Zuverlässigkeit und mit unserer Expertise. Zwischen unseren Kunden und uns ist das Vertrauensverhältnis über viele Jahre gewachsen“, berichtet Geschäftsführerin Neuhaus. „Das bedeutet, es zählt eben nicht nur der Preis, sondern auch der Service. Wir liefern ausschließlich Stahl aus Europa. Und wir liefern stabil. Geld, das man bei vermeintlich günstigen Anbietern vielleicht kurzfristig spart, geht dann ganz schnell wieder verloren, wenn es zu Lieferengpässen kommt und die Maschinen stillstehen. Hinzu kommt, dass wir mit einigen Fachleuten aus der Metallbranche zusammenarbeiten, die auch kurzfristig bei Problemen in der Produktion mit ihrem Expertenwissen helfen können.“

 

Über 100-jährige Expertise

Firmengründer Wilhelm Jungermann war der Urgroßvater mütterlicherseits der heutigen Inhaberin Reyna Neuhaus. „Mein Urgroßvater war ein sehr umtriebiger Kaufmann“, so Neuhaus. „1906 gründete er zunächst einen kaufmännischen Handel und später mit seinem Schwiegersohn, Ewald Westebbe, einen Betrieb, in dem Massendrehteile aus Holz hergestellt wurden. Teile von Geländern kamen zum Beispiel aus seiner Produktion. Am damaligen Standort der Holzdrechslerei im Sauerland nutzte er sogar die Wasserkraft für eine Turbine zur Stromerzeugung, was vergleichsweise selten war. Mein Vater stieg dann irgendwann in den Familienbetrieb ein. Als sich die Holzfertigung nicht mehr rechnete, weil die gedrehten Stäbe nicht mehr so gefragt waren, erwarben mein Vater und mein Großvater Drehautomaten für die Metallbearbeitung. Der enge Kontakt meines Vaters zu den Werkzeugherstellern in Deutschland war die Basis für die spätere Neuorientierung des Unternehmens von der Automatendreherei zum Stahlhandel. Mein Vater hatte zuvor lange bei einem großen Stahlhersteller im Außendienst gearbeitet und fühlte sich daher in der Branche zuhause“, blickt die heutige Geschäftsführerin zurück. Im Jahr 2009 übernahm Reyna Neuhaus als gelernte Elektro-Ingenieurin dann in vierter Generation die Führung – mit einer klaren Haltung zu Qualität, Nachhaltigkeit und Service. Gerade weil sie um die komplexen Zusammenhänge im Stahlhandel weiß, mögliche Risiken und Kostenfallen kennt, war es ihr so wichtig, die Service-Leistungen ihres Unternehmens zu intensivieren.

 

Hohe Dienstleistungsmentalität

Neuhaus und ihr zehnköpfiges Team haben schon vielen Unternehmern bei ihren Verarbeitungsproblemen geholfen. „Unsere Experten und Sachverständigen sind oft gefragt“, so die Geschäftsführerin. „Vor einiger Zeit hatte ein Kunde einen massiven Ausfall bei der Fertigung einer Feder für einen Drehmomentschlüssel. Wir legten unserem Werkstoffprüfer einige Referenzteile zur Untersuchung vor und konnten nachweisen, dass seine Härterei das Wärmebehandlungsverfahren nicht korrekt angewendet hatte.“ Einmal schickte Neuhaus sogar ihren eigenen Lkw Freitagnachmittag in den Schwarzwald, weil ein Kunde ganz dringend bestimmte Mengen und Abmessungen Stabstahl und Ringe benötigte. „Oft können wir auch mit Stahl aus unserem Lager aushelfen, sodass eine Produktion nicht ruhen muss, während auf neues Material gewartet wird.“ Die Firma Jungermann handelt ausschließlich mit Stahl aus europäischer Produktion. „Wir setzen da bewusst auf Qualität und sind damit auch immer gut gefahren“, erklärt Neuhaus. „Hinzu kommt, dass es bestimmte Stahlsorten auf anderen Kontinenten gar nicht gibt. Zwar haben wir keine eigene Produktion, aber ein gutes Netzwerk von Partnern, die für uns den selber eingekauften Walzdraht verarbeiten, auch um spezielle Profile herzustellen.“

 

Nachhaltig stark

Stahl ist ein Werkstoff, von dem die Stabilität ganzer Gebäude abhängt. Und es gibt viele Fehler, die im Umgang mit diesem Material schon bei der Herstellung oder beim Wärmebehandlungsverfahren unterlaufen können. „Wir bilden derzeit einen eigenen Werkstoffprüfer aus, in Kooperation mit einem Labor. Wir arbeiten mit mehreren Fachlaboren zusammen, denn sowohl in physikalischer als auch in chemischer Hinsicht treten immer wieder Qualitätsprobleme auf“, erläutert Reyna Neuhaus. „Überhaupt ist es unsere Stärke, Stähle aus unserem Portfolio für spezielle Anwendungsfälle zu besorgen. Damit haben wir uns einen Namen in der Branche gemacht.“

Mit einer eigenen Photovoltaikanlage, einer Ladesäule und einem elektrischen Gabelstapler nebst Hybridfahrzeug realisiert die Firma Jungermann ihr Tagesgeschäft noch dazu besonders nachhaltig. Im „stahlharten Business“ liegt Reyna Neuhaus insbesondere der zwischenmenschliche Umgang am Herzen: „Das gilt im Umgang mit den Kunden und vor allem auch untereinander. Wir haben hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen wir voll vertrauen und ihnen daher auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung übertragen, was die Anwesenheitszeiten und die eigene Organisation angeht. Von den Kunden bekommen wir für unseren Service stets ein sehr gutes Feedback mit der Begründung: ‚Hier spricht man immer mit Menschen‘.“

Als alteingesessenem Familienunternehmen ist es der Firma Jungermann zudem wichtig, sich gesellschaftlich und regional zu engagieren, um auf diese Weise seine soziale Verantwortung wahrzunehmen, was einmal mehr die Ambitionen der Remscheider in Sachen Nachhaltigkeit widerspiegelt: „Wir unterstützen beispielsweise das Rotationstheater hier in Remscheid-Lennep, spenden regelmäßig an die Kinderherzstiftung und sind bereits seit mehreren Jahrzehnten Mitglied in der Deutschen Jose Carreras Leukämie-Stiftung sowie seit neun Jahren bei OXFAM“, berichtet Reyna Neuhaus. Darüber hinaus hat das Unternehmen seit mehreren Jahrzehnten eine Patenschaft für das SOS-Kinderdorf Westfalen.

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Fotostrecke

In den Hallen des Remscheider Stahlhändlers lagern etwa 1.800 bis 2.000 Tonnen Stahl, u.a. in Form von Stäben und Coils

(© Taro Kataoka)

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