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Automobilbranche: „Es fehlen kleinere, bezahlbare Fahrzeuge“

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von Regiomanager 11.07.2023
(© deagreez − stock.adobe.com)

Die Industrie befindet sich in Deutschland in einem weitreichenden Transformationsprozess; dies gilt insbesondere für die Automobilbranche. Nach den massiven Lieferkettenproblemen und der Corona-Pandemie kann die Automotive-Branche immer noch nicht aufatmen. Die Energiekrise ist nicht bewältigt, die Konjunktur weltweit fragil und die Mobilitätswende kommt nur schleppend voran. Chinesische Autobauer verkaufen immer öfters ihre preisgünstigen E-Autos auf dem deutschen Markt. Wie die deutschen Hersteller auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet sind und wie das Auto „made in Germany“ im Jahr 2030 aussieht, erklärt Martin Weiss im Interview. Er ist der Auto-Experte der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) in Ostfildern in der Nähe von Stuttgart.

Regio Manager: Bei welchen Unternehmen spielt aktuell in der Automotive-Branche die Musik?

Martin Weiss: Die ingenieurgetriebenen Automobilhersteller versuchen die E-Mobilität weiter zu perfektionieren, was die Reichweite und den Einsatz von Rohstoffen angeht. Andererseits geht es mit Assistenzsystemen, autonomem Fahren und Sicherheit weiter voran. Viele Produzenten spielen auf den gleichen, aber ebenso auf anderen Spielfeldern. Die deutschen Automobilbauer gelten in der Regel nach wie vor als innovativ, aber auch koreanische und japanische bieten einiges. Das können Spielarten der Connectivity sein, wie die Interaktion mit einem virtuellen Sprachsystem im Automobil, oder auch Functions on Demand.

RM: Chinesische Hersteller setzen an, den Weltmarkt zu erobern. Wie gefährlich ist das für die deutsche Automobilindustrie?

MW: Natürlich ist da eine Gefahr. Die chinesischen Autobauer haben gute Produkte, sie können liefern und kommen vielleicht auch zukünftig mit kleineren, bezahlbaren Fahrzeugen auf den deutschen Markt. Diese fehlen momentan bei den hiesigen Herstellern. Und die Chinesen haben den Zugriff auf die Rohstoffe, die Häfen und andere Bestandteile der Transportinfrastruktur.
Wenn wir nach China schauen, dann machen dort den deutschen Marken mittlerweile auch die chinesischen Produzenten Konkurrenz. Hier muss man allerdings die nächsten Innovationsschritte abwarten. Die Stärken der hierzulande aktiven Autobauer und Importeure sind ihre Handels- und Servicenetze. Beides darf man speziell in Zeiten der Elektromobilität nicht vernachlässigen.

RM: Treffen die vier Begriffe Digitalisierung (KI), Konnektivität, autonomes Fahren und Elektromobilität den Wandel der Automotive-Industrie?

MW: Diese Elemente kursieren schon lange. Zukünftig kommen noch das Thema „Umweltbewusstsein“ oder die Erschwinglichkeit von Mobilität als wichtige Faktoren hinzu. Datenbasierte Lösungen kommen immer mehr. Damit möchten die Automobilhersteller einerseits Umsatz machen, andererseits aber die Schnittstelle zum Kunden weiter optimieren. Grundlage für den Wandel ist allerdings die Antriebstechnologie.

RM: Sind die deutschen Autohersteller bei diesen Trends führend oder haben sie die verschlafen?

MW: Die deutschen Automobilbauer haben die Trends nicht verschlafen, sie mussten allerdings parallel für die internationalen Märkte unterschiedliche Technologien in ihrem Produktportfolio voranbringen. Wenn dann ein Tesla ausschließlich auf den E-Antrieb setzt, ist der mediale Fokus natürlich ein anderer. Unsere waren schon immer innovativ. Das Thema Elektro wirkt bei ihnen aber etwas mehr im Hintergrund. Sie sind aber nach wie vor vorne mit dabei.

RM: Wird es im Jahr 2030 noch wettbewerbsfähige Autos „made in Germany“ geben und wie sehen die aus?

MW: Ja, natürlich. Die hiesige Industrie investiert bis 2027 weltweit über 250 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Nach Informationen des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) liegt der Schwerpunkt auf der Transformation, insbesondere der Elektromobilität – inklusive Batterietechnik, autonomes Fahren sowie Digitalisierung. Viele Stellen sind speziell für diese Roadmap geschaffen. Wie diese Autos dann einmal aussehen, können wir noch nicht sagen. Aber ich denke, die Hersteller haben einen gewissen Anspruch an ihre Produkte. Man könnte „made in Germany“ durchaus so charakterisieren, dass vieles bei uns zu Ende gedacht ist und der Qualitäts- sowie Sicherheitsstandard weiter sehr hoch bleibt.

RM: Ist die Software demnächst wichtiger als das Logo?

MW: Die Frage können wir derzeit auf Basis unserer Erhebungen bei den Autokäufern klar mit „Nein“ beantworten. Wie sich das in Zukunft entwickelt, können wir nicht mit Sicherheit vorhersagen, aber Marken wirken durch ihre Positionierung, ihre Haltung und ihre Attribute. Und wenn so etwas über Jahrzehnte entstanden ist, dann ist das nicht in kurzer Zeit durch Softwarelösungen aufgehoben. Die Bedeutung von Software in den Automobilen wird immer wichtiger, sie ist allerdings auch komplexer und muss deshalb regelmäßige Updates bekommen. Man kann sich in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob wir solche Fahrzeuge künftig als Old- oder Youngtimer auf unseren Straßen sehen.

RM: Ist das klassische Autohaus mit Werkstatt ein Auslaufmodell?

MW: Es gibt, seit der Autohandel existiert, immer wieder Veränderungen. Als das Internet sich in Deutschland verbreitete, gab es schon einmal Unkenrufe, die dem Handel den Untergang prophezeiten. Was wir beobachten, ist, dass es in den letzten Jahren eine Konzentration zu immer größeren Gruppen gab. Mittlerweile ist viel vom Agenturmodell anstatt von Vertragshändlern die Rede.
Im Kern geht es darum, wie der Handel künftig seine Autos verkauft. Hier kommen die Automobilbauer ins Spiel, die direkt seine Autos an den Kunden bringen möchten, Stichwort „Direktvertrieb durch den Hersteller“. Letztlich geht es um das Zusammenspiel von selektivem Vertrieb und Agenturmodell. Beim selektiven Vertrieb verkauft der Handel die Fahrzeuge auf eigene Rechnung und agiert als Unternehmer. Beim Agenturmodell ist der Händler eine Art Vermittler, der dem Kunden zu seinem Fahrzeug auf Herstellerrechnung verhilft und dafür eine Provision erhält. Dem Endverbraucher ist es letztlich egal, wie er zu seinem Fahrzeug kommt. Er oder sie braucht einen kompetenten Ansprechpartner, der im Rahmen einer Bedarfsanalyse den Angebots- und Antriebsdschungel lichtet, den Kaufprozess unterstützt, das Fahrzeug erklärt, finanziert, verkauft und nach dem Verkauf die Mobilität des Pkw-Halters durch Werkstattleistungen sicherstellt. Der stationäre Handel mit Werkstatt ist also weiterhin eine sehr wichtige Anlaufstelle. Wir sehen auf Basis unserer Erhebungen, dass der konkrete Ansprechpartner vor Ort immer wichtiger wird für die Autokäufer.

Wer ist Martin Weiss?
Seit acht Jahren Auto-Experte der DAT Group in Ostfildern in der Nähe von Stuttgart. Stationen seines bisherigen beruflichen Werdegangs waren DEKRA-Automotive Solution, EurotaxGlass’s, Sixt Leasing und Volkswagen. DAT, die Deutsche Automobil Treuhand, ist seit 1931 Spezialist für Kraftfahrzeug-Daten und hat rund 400 Mitarbeiter. Martin Weiss ist Leiter DAT-Marktbeobachtung der DAT.

Dr. Klaus Heimann | redaktion@regiomanager.de

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