Kolumne

KOLUMNE Parallelwelten: Angst essen Seele auf

Wenn die Weltsituation Angst hervorruft, ist es besonders wichtig, aktiv zu werden, meint Simone Harland.

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von Simone Harland 30.05.2022
(© studiostoks – stock.adobe.com)

Angst ist derzeit allgegenwärtig. Angst vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs, Angst vor Inflation, Angst vor Rohstoffengpässen oder sogar -ausfällen, Angst vor einer Rezession, Angst vor der Klimaveränderung, Angst vor Covid-19. Daneben gibt es noch zahlreiche weitere Ängste, die in Zusammenhang mit den globalen Problemen unserer Zeit stehen. All diesen Problemen stehen viele Menschen ohnmächtig gegenüber. Die Herausforderungen sind so viel größer, als wir es erfassen können, und viele von uns fühlen sich ihnen gegenüber schrecklich klein. Und die wenigsten von uns haben die Möglichkeit, durch eigene Entscheidungen merkliche Veränderungen zu bewirken. Das ist sicher ein Punkt, der die Angst noch größer werden lässt. Denn wenn wir uns ohnmächtig und ausgeliefert fühlen, wachsen Ängste in der Regel an. Manchmal werden sie überlebensgroß – oder scheinen es zumindest zu werden.
Angst ist nicht per se negativ. Sie schützt uns vor Gefahren und versetzt uns durch die Ausschüttung von Stresshormonen in Alarm- und Reaktionsbereitschaft und damit in die Lage, flüchten oder kämpfen zu können. Sie macht in vielen Fällen wachsam und aktiv. Doch es gibt noch eine weitere, weniger bekannte Reaktion auf Angst: sich tot stellen. Diese dritte Reaktion ist zunächst einmal die energiesparendste. Flucht und Kampf hingegen erfordern den Einsatz großer Energiemengen. Sich tot zu stellen ist in vielen Fällen auch erst mal nicht falsch. Jedenfalls, wenn sich dadurch ein Kampf oder eine Flucht verhindern lässt. Doch bei den großen Problemen, denen wir ausgesetzt sind, hilft regungsloses Verharren nicht. Eine Zeit lang vielleicht, um sich dem Ganzen, was da draußen passiert, nicht aussetzen zu müssen. Doch die Stresshormone, die bei Angst ausgeschüttet werden, bleiben auf diese Weise länger im Körper und rufen auf Dauer viele negative körperliche Reaktionen hervor. Durch Flucht oder Kampf werden sie hingegen abgebaut – und damit geht auch die Angst zurück.
Was bedeutet das nun in einer Situation wie der, in der wir uns gerade befinden? Den Problemen zu entfliehen oder gegen sie zu kämpfen ist nicht möglich, und sich tot stellen ist auf Dauer keine Option. Denn Nichtstun verstärkt die Angst noch. Und Angst, so schon ein Filmtitel von Rainer Werner Fassbinder, essen Seele auf. Wenn das geschieht, bringt Angst uns dazu, irrational zu handeln, z.B. Sonnenblumenöl, Mehl oder Toilettenpapier zu hamstern. Doch dadurch treiben wir die Kosten für diese Dinge des täglichen Bedarfs nur weiter hoch. Wir schaden damit also uns selbst und geraten in eine weiter eskalierende Angstspirale.
Auch wenn wir die ganze Zeit wie das Kaninchen vor der Schlange gen Moskau starren und schauen, was der Befehlshaber im Kreml sich jetzt schon wieder für ungeheuerliche, unmenschliche Dinge einfallen lässt, um seine eigene Großmannssucht zu befriedigen, hilft uns das nicht weiter. Wir können spekulieren, was er tun wird, wir können es aber einfach auch lassen. Denn schließlich sind die wenigsten von uns in der Lage, die Lage zu beeinflussen. Außer vielleicht damit, sich an Sanktionen zu beteiligen.
Was also tun? Als Erstes heißt es, die Angst zu verringern oder gar ganz zu verlieren. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Doch machen wir uns bitte klar: Das Leben ist nun einmal lebensgefährlich und im schlimmsten Fall kann uns schon morgen der Himmel auf den Kopf fallen. Ja, ich weiß, kaum jemand glaubt, dass es unter Umständen morgen schon vorbei sein kann. Doch die Möglichkeit besteht. Das bedeutet im Umkehrschluss: Sehen wir zu, dass wir es uns heute so schön wie möglich machen, statt uns durch Angst lähmen zu lassen. Und nein: Das bedeutet nicht, auf Kosten der nächsten Generationen so weiterzumachen wie bisher. Es bedeutet, individuelle Entscheidungen zu treffen, die einerseits das Leben bereichern, andererseits auch die Bedürfnisse der Folgegenerationen beachten. So können Unternehmen z.B. eine Vorreiterrolle bei der Einsparung oder beim Ausgleich von Kohlendioxid-Emissionen einnehmen. Damit tun sie gleichzeitig etwas gegen die Klimaveränderung und für ihr eigenes Weiterbestehen, für ihr Image, aber auch etwas gegen die Angst. Denn wer aktiv wird, Entscheidungen trifft, befreit sich aus dem lähmenden Gefühl, nichts gegen die Probleme dieser Welt in der Hand zu haben – selbst wenn das, was wir tun, zunächst wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirkt. Doch steter Tropfen, so ein altes Sprichwort, höhlt den Stein. Worauf warten wir also noch?

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