Digital

Zwischen Fortschritt und Sorgen

Unsere Arbeitswelt verändert sich. Seit einigen Jahren spricht man sogar von einer „vierten industriellen Revolution“ – die der Digitalisierung. Doch was ändert sich dadurch tatsächlich?

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von Regiomanager 01.04.2016
(Foto: © vectorfusionart – stock.adobe.com)

Ein Blick in deutsche Büros oder Werkstätten ist meistens wenig überraschend. Menschen sitzen vor ihren Rechnern, telefonieren, schrauben oder bedienen Maschinen. Nine to five, Schichtbetrieb, Gleitzeit. Einige wohnen möglichst nah zum Arbeitsplatz, andere pendeln mit dem Auto oder der Bahn. Der Wandel der Arbeitsweisen ist oberflächlich oft nicht ersichtlich. Im Hintergrund aber könnte aktuell ein Paradigmenwechsel stattfinden. Wenn er es sogar nicht schon längst tut. Vor allem die Digitalisierung hat enormen Einfluss auf Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. Im Positiven wie Negativen. Es geht weniger darum, dass analoge durch digitale Technik ersetzt wurde oder überall ein schneller Internetanschluss verfügbar ist. Es ist vielmehr die Tatsache, wie dieser Prozess bisherige Arbeitsstrukturen infrage stellt oder ihnen gleicht.
Mithilfe der digitalen Möglichkeiten heutzutage könnten sich Arbeitnehmer in diversen Berufsfeldern und Branchen eine physische Anwesenheit am Arbeitsplatz theoretisch schenken. Ebenso das Reisen zu vielen Geschäftsterminen. Homeoffice heißt das Zauberwort. Der passende Heim-PC mit der benötigten Software, dazu ein Internetanschluss, und schon können viele Arbeitnehmer ihre Aufgaben auch von zu Hause aus erledigen. Dokumente bearbeiten, Texte schreiben, an Konferenzen teilnehmen. Excel, Word und Skype hat sowieso fast jeder. Ja, sogar Maschinen können mittlerweile von woanders bedient werden. Wozu ins Büro fahren? Das Zu-Hause-Bleiben könnte Zeit und damit Kosten sparen und die Motivation erhöhen.
Mit dem Konzept Homeoffice tun sich deutsche Arbeitgeber jedoch schwer. Andere Länder sind da weiter. In den Niederlanden ist das Recht auf Homeoffice für Arbeitnehmer inzwischen im Gesetz verankert. Das soll speziell die Vereinbarkeit von Job und Familie verbessern. Laut einer repräsentativen Studie des Digitalbranchenverbands Bitkom erwartet die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland zwar auch, dass Homeoffice immer wichtiger wird, in der Realität hingegen haben 75 Prozent Anwesenheitspflicht. Weitere elf Prozent aller Betriebe fordern ständige Präsenz von mindestens drei Viertel ihrer Angestellten. Nur die Informations- und Kommunikationsbranche ist hierzulande diesbezüglich etwas progressiver. 47 Prozent der ITK-Unternehmen haben zumindest irgendeine Art von Homeoffice-Regelung, in den anderen Branchen sind es nur insgesamt 17 Prozent.

Neue Technologien: Freund oder Feind?

Natürlich birgt Homeoffice auch mögliche Nachteile in sich. Daher stößt es selbst in der stets als innovativ angesehen US-Digitalbranche vermehrt auf Ablehnung. Viele der hippen Unternehmen im Silicon Valley haben das Homeoffice wieder abgeschafft und pochen auf die strikte Einhaltung fester Arbeitszeiten. Google und Co wollen ihren Mitarbeitern andere Annehmlichkeiten bieten. Die Büros rund um San Francisco wirken teilweise wie durchgestylte Abenteuerspielplätze. Bäume wachsen quer durch die Etagen, die mit Rutschen verbunden sind. Wer einen Durchhänger hat, kann jederzeit in einer Schlafecke auf Designersesseln ruhen. Ansonsten gibt es Playstations, hippes Street Food oder Latte macchiatos mit Sojamilch. All-inclusive. Wozu überhaupt noch nach Hause gehen? Und genau diese Taktik verfolgen die Unternehmen damit. Was wirkt, als ob sie ihren Mitarbeitern eine ausgewogene „Work-Life-Balance“ bieten möchten, ist letztendlich nichts anderes als eine ständige Bindung an die Firma. Viele Angestellte sind durch die ganzen Freizeitmöglichkeiten und das aufoktroyierte Gemeinschaftsgefühl mehr als acht Stunden im Büro, arbeiten mehr. Dieser Trend schwappt auch nach Deutschland herüber, speziell bei Start-up-Unternehmen.
Vielleicht aber interessieren die unterschiedlichen Modelle von Arbeitszeit und -ort viele Angestellte in Zukunft gar nicht. Dann nämlich, wenn ihre Arbeitsplätze sowieso überflüssig geworden sind. Neue Programme und Roboter könnten im Zuge der Digitalisierung bald immer mehr Menschen ersetzen. Was in einigen Branchen, beispielsweise der Automobilindustrie, schon seit Jahrzehnten teilweise der Fall ist, sehen Experten bald auch auf anderen Feldern. „Das betrifft nicht nur physische Arbeit. Daten können heute nicht nur besser gesammelt werden als früher, durch maschinelles Lernen können auch mehr Einsichten daraus gewonnen werden. Disponenten z.B. werden kaum mehr gebraucht, wenn sich Computerprogramme automatisch darüber austauschen, wann die Spedition eine Fracht vom Hafen in die Fabrik bringen soll“, sagte beispielsweise Prof. Henning Kagermann gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“.
Der Physikprofessor und Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften war bis 2009 Vorstandschef von SAP und hat einst den Begriff „Industrie 4.0“ mitgeprägt. Deutlich weniger Menschen sieht er in der Zukunft auch in Bereichen wie Logistik und Verwaltung arbeiten. Aber ebenso blicken Arbeitnehmer aus Berufsbildern mit Sorgen in die Zukunft, die nie für möglich gehalten hätten, dass eine Maschine oder ein Programm ihre Aufgabe übernehmen kann. In Japan sind bereits Pflegeroboter im Einsatz, anderswo liefern Drohnen Pakete aus. Autos fahren ohne Fahrer, Programme übernehmen Diagnosen von Ärzten. Selbst Programmierer braucht man nicht mehr. Fürs Programmieren von Programmen gibt es Programme. Hauptsächlich sind es aber einfache Arbeitsplätze für Geringqualifizierte, die vor dem Aus stehen. Mit der Technologisierung wird die Devise verstärkt heißen: Jeder Fabrikarbeiter oder Handwerker muss eine hoch qualifizierte Fachkraft sein, am besten noch in irgendeiner Form akademisiert. Ob das Sinn macht, ist eine Debatte für sich.

Arbeitsplätze werden rationalisiert, neue entstehen

Der Wirtschaftswissenschaftler Richard B. Freeman, der oft mit deutlichen Thesen auftritt, sieht die digitale Ära daher weitaus kritischer. Er spricht von neuen feudalen Strukturen, davon, dass Arbeiter zu „Leibeigenen“ werden. „Wer die Roboter besitzt, regiert die Welt“, lautet das Credo einer seiner letzten Studien. Freeman prognostiziert, dass die Digitalisierung Jobs mit hohen Löhnen rationalisieren wird und schlecht bezahlte Arbeit entstehen lässt. Es geht ihm weniger um Quantität als um Qualität. Als Fazit seines Szenarios stellt der Havard-Dozent die Forderung auf, Beschäftigte an Unternehmen zu beteiligen, um so ihre sinkenden Löhne auszugleichen.
Die Angst vor neuer Technik gab es in der Arbeitswelt immer. Nicht erst seit der vermeintlichen vierten, sondern bereits seit der ersten industriellen Revolution. Meistens war diese Furcht unbegründet. Historisch gesehen fiel der Wandel der Arbeit für Arbeitnehmer fast durchweg positiv aus. Technologische Fortschritte erforderten stets neue qualifizierte Arbeitskräfte. Im 18. Jahrhundert ersetzte der mechanische Webstuhl die Weber, dafür entstanden neue Arbeitsplätze. Und so sind sich auch jetzt viele Fachleute einig, dass der Mensch nicht allzu große Angst vor der Digitalisierung haben muss. Professor Kagermann sieht keine Massenarbeitslosigkeit auf uns zukommen. Unter anderem in der IT-Sicherheit oder bei Wartungsaufgaben in Fabriken würden neue Jobs entstehen, so Prof. Kagermann. Die ganze Technik muss schließlich auch in Zukunft von Menschen entwickelt, erbaut und bedient werden. Übrigens: Ein Beispiel dafür, dass sich der vorhergesehene „Weltuntergang“ nicht bewahrheitet hat, hat auch das digitale Zeitalter schon hinter sich. 1996 schrieb der US-Autor Jeremy Rifkin über „Das Ende der Arbeit“. Danach erreichte die Beschäftigung in den USA ihren historischen Höchststand. Roman Milenski | redaktion@regiomanager.de

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