Von der Landwirtschaft zum Hightech-Standort
Dormagen kann ob seiner römischen Ursprünge auf eine fast 2.000-jährige Geschichte zurückblicken und war bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts deutlich landwirtschaftlich geprägt. Diese Prägung machte sich im Jahre 1864 durch die Gründung einer Zuckerfabrik durch das Kölner Unternehmen Rath, Joest & Carstanjen bezahlt. Begünstigt wurde diese Industrialisierung durch die 1855 eröffnete Eisenbahnverbindung zwischen Köln und Neuss. Fast ein halbes Jahrhundert war das Unternehmen der einzige Großbetrieb mit mehr als 300 Beschäftigten. Dies sollte sich erst mit dem heute wohl wichtigsten Traditionsunternehmen der Region ändern. Bereits 1913 hatten die weltweit operierenden Leverkusener Farbenfabriken, heute bekannt als Bayer AG, mit dem Ankauf von Grundstücken in Dormagen begonnen. Dabei ging es den Verantwortlichen zunächst nicht um eine industrielle Nutzung. Was das Unternehmen suchte, war vielmehr Lagerraum für die in Leverkusen nicht mehr unterzubringenden Schlamm- und Schuttmengen. Erst unter den Vorzeichen des Krieges rückte die Unternehmensleitung von ihren Plänen ab und ließ auf dem Dormagener Gebiet eine neue Fabrikanlage zur Erzeugung von Pikrinsäure errichten. Ende Dezember 1917 wurden bereits 2.671 direkte Betriebsangehörige gezählt; im Sommer 1918 war ihre Zahl auf deutlich über 3.000 gestiegen. Obwohl Anfang 1918 nur etwa 30 Prozent der Beschäftigten in Dormagen wohnten, waren die neu errichteten Farbenfabriken der bei Weitem größte Arbeitgeber vor Ort und prägten bereits ab 1925 mit der Entwicklung zum Faserwerk die Stadt. Spätestens in den 1950er- und 1960er-Jahren, als das Werk rapide wuchs und Dormagen durch die Produktion von Perlon und Dralon zum wichtigsten Chemiefaserstandort Europas aufstieg, boomte auch der Wohnungsbau, und von der einst landwirtschaftlich geprägten Region mit 8.500 Einwohnern in 1871 wuchs Dormagen dank Bayer binnen eines Jahrhunderts zu einer Stadt mit 56.000 Bürgern. Heute ist das Werk als Chempark Dormagen mit 35 ansässigen Unternehmen einer der wichtigsten Standorte im Kreis und zählt über 10.000 Mitarbeiter.
Von Stahl zu Seide
Was Bayer für Dormagen ist, ist das Traditionsunternehmen Böhler für Meerbusch. Der erste Spatenstich für das Böhler-Stahlwerk im heutigen Stadtteil Büderich, an der Stadtgrenze zu Düsseldorf, erfolgte im März 1914. Schon 1915 konnten die ersten Bereiche die Produktion aufnehmen und im Jahr 1919 umfasste die Belegschaft mehr als 2.500 Mitarbeiter. 1933 begann ein großzügiger Ausbau des Werkes und später die teilweise Umstellung auf Rüstungsproduktion. In den Jahren von 1960 bis 1970 wurden große Investitionen getätigt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, und so konnte das Werk in den 1980ern rund 3.700 Mitarbeitern einen Job sichern. Ab 1991 folgte dann ein radikaler Erneuerungsprozess für den Standort, bei dem Stahlwerk und Schmiede in Meerbusch geschlossen wurden. Das Areal Böhler hat sich mittlerweile zum modernen Gewerbepark und Messestandort entwickelt, in dem fast 200 Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern tätig sind. In der Alten Schmiedehalle haben Messen wie die Rheingolf, die Neocom oder TrauDich eine Heimat gefunden. Seit 2016 ist hier auch die Mode zu Hause. So haben mit der Igedo Company Ordermessen- und Modenschauen auf dem Areal Böhler Einzug gehalten. Werfen wir doch nun mal einen Blick in das prosperierende Kaarst. Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt war bis zum Zweiten Weltkrieg wesentlich durch Landwirtschaft und zugehörige Verarbeitungsbetriebe geprägt. Trotzdem finden sich auch heute noch in Kaarst klassische Traditionsunternehmen wie die Firma Schmitz & Sohn im Ortsteil Holzbüttgen. Der heute generationsübergreifend geführte Handwerksbetrieb wurde bereits 1880 gegründet. Seitdem hat sich das Unternehmen als Schlosserei, Schmiede und im Bereich Metallbau als feste Größe etabliert. In Handarbeit gefertigt, werden in der eigenen Werkstatt heute Haustüren, Gitter, Geländer, Fenster, Garagentore, Vordächer, Überdachungen und Treppen hergestellt.
Das braune Gold und die Aluminiumhütte
Last, but not least bleiben uns bei den Traditionsunternehmen im Rhein-Kreis Neuss noch der deutlich sichtbare Braunkohletagebau durch die Rheinische AG für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation – später Rheinbraun und dann RWE – sowie die Aluminiumhütten. Der Braunkohleabbau hat die Gegend um Grevenbroich bis heute geprägt, Landschaften auf den Kopf gestellt und für Jahrzehnte unserer Wirtschaft in NRW als treuer Energiespender zur Seite gestanden. So kritisch man die heutige Nutzung auch hinterfragen möchte und die roten Zahlen zur Kenntnis nimmt, so wichtig war die Braunkohle für den Rhein-Kreis Neuss. Die Braunkohlevorkommen von Buchholz und Neurath wurden durch Zufall beim Bau eines Brunnens im Jahre 1858 entdeckt und zunächst Untertage abgebaut. 1869 stellte man die Förderung wegen Absatzmangels wieder ein und erst 40 Jahre später sollte man sich wieder der Braunkohle zuwenden. 1907 hatten sich die Preise für die Braunkohle erhöht und es war nun auch möglich, diese mit sogenannten Dampf-Eimerkettenbaggern im Tagebau zu fördern. Auch wurde im Jahre 1909 und 1912 jeweils eine Brikettfabrik errichtet, die beide bis 1968 in Betrieb bleiben sollten. Aus dem einstigen Tagebau in Neurath ist durch stetige Erweiterung bis heute eines der größten Tagebauareale in Europa entstanden. Der Tagebau in Neurath selbst wurde mittlerweile komplett rekultiviert; unter anderem mit einem kleinen See. Zudem steht auf Gelände der Brikettfabrik das 1972 in Betrieb genommene Kraftwerk Neurath. Heute erlebt die Braunkohle einen holprigen Strukturwandel, während ein anderes Traditionsunternehmen aus Grevenbroich den Werkstoff der Zukunft geprägt hat wie kein anderes Unternehmen im Kreis. Die Rede ist von den beiden Werken der Vereinigten Aluminium-Werke und ihrer Nachfolger, heute Norsk Hydro. Auch hier sollte der Erste Weltkrieg eine besondere Rolle spielen. Denn als im Laufe des Krieges der Mangel an Metallen immer deutlicher wurde, entschied man sich im September 1916 dazu, eine neue Aluminiumhütte inklusive Elektrodenfabrik nahe der Braunkohlenwerke und der Bahnlinie zwischen Mönchengladbach und Köln zu errichten. Exakt 50 Jahre später sollte ein zweites Werk in Norf bei Neuss entstehen. Und so ergänzten sich lange Zeit zwei Traditionsunternehmen der Region ganz im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklung des Rhein-Kreises Neuss. André Sarin | redaktion@niederrhein-manager.de