Traditionsunternehmen im Kreis Viersen

Geheimsprache und kirchlicher Segen zwischen Maas und Rhein.

Das Hospital zum Heiligen Geist ist heute ein modernes Kranken- und Gesundheitszentrum
Das Hospital zum Heiligen Geist ist heute ein modernes Kranken- und Gesundheitszentrum
An der niederländischen Provinz Limburg, westlich von Krefeld, ist der Kreis Viersen mit seinen fünf Städten Kempen, Nettetal, Tönisvorst, Viersen, Willich sowie den Gemeinden Brüggen, Grefrath, Niederkrüchten, Schwalmtal gelegen. Zahlreiche Traditionsunternehmen nennen den Kreis ihre Heimat und haben die Wirtschaft der Region geprägt.

Der Ton macht die Musik


So deckte Brüggen über Jahrhunderte den Zugang des Herzogtums Jülich zum lukrativen Handel auf der Maas. Die Industriegeschichte der Gemeinde ist zudem eng mit der Tonindustrie verbunden. Seit den 1880er-Jahren prägte die industrielle Herstellung von Ziegeln und Röhren die Landschaft, sie war Grundlage für buchstäblich Tausende von Beschäftigten und führte zur Anbindung an das Bahnnetz. Um 1910 war die Region rund um Brüggen Produzent für ein Sechstel der gesamten Dachziegelindustrie im Deutschen Reich. Prägende Firmen bis in die heutige Zeit sind die Gebr. Laumans GmbH & Co. KG und Röben Tonbaustoffe GmbH. Ab Mitte der 1960er-Jahre ließ dieser dominante Einfluss nach und ein Branchenmix etablierte sich. Neben der Landwirtschaft und dem Gartenbau prägen heute vielfältige kleinere und mittelständische Unternehmen das Gesamtbild. Diese bilden zusammen mit dem Tourismus – die Burggemeinde liegt mitten im internationalen Naturpark Maas-Schwalm-Nette – die Basis für die wirtschaftliche Stärke. Zudem tragen aber auch große Betriebe wie die Landbäckerei Stinges & Söhne, gegründet 1852, mit über 120 Filialen am Niederrhein zur Wirtschaft der Gemeinde bei und stehen für eine erfolgreiche Zukunft. Letztere ist seit Gründung fest mit ihrer Heimat am Niederrhein verbunden und backt noch heute dort, wo ihr Ururgroßvater Leopold Stinges einst seine Bäckerei und Schankwirtschaft hatte.

Die Britische Rheinarmee im Kreis


Eine besondere Geschichte am Niederrhein ist auch die Entwicklung der Stadt Willich. Diese wurde vor allem geprägt von Textilunternehmen wie der Tuchfabrik Jakob Krebs aus Anrath oder der Seidenwebereibetriebe in Schiefbahn. Aber auch die Brauerei Hausmann, heute Hannen Brauerei, prägte die Wirtschaft der Stadt. So wurde hier seit 1725 eines der beliebtesten Altbiere gebraut. Mitte der 1970er-Jahre erlebte Willich dann einen Niedergang der Textilindustrie und den Weggang der Hannen Brauerei, des damals größten Arbeitsgebers, und wurde damit zum wirtschaftlichen Schlusslicht im Kreis Viersen. 1978 wurde daher westlich von Alt-Willich das Gewerbegebiet Münchheide realisiert. Aufgrund der guten Autobahn-Anbindung entwickelte sich das auf rund 140 Hektar gewachsene Areal schnell zu einem der größeren Gewerbegebiete der Region. Ein weiteres historisches Gewerbegebiet ist der Gewerbepark Stahlwerk Becker. Auf diesem Gelände befand von 1908 bis 1945 ein Stahlwerk. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Areal zur Kaserne der Britischen Rheinarmee und blieb dies bis 1992. Inzwischen haben sich auf den beiden Arealen neben einem Gründerzentrum auch knapp 1.000 Unternehmen mit rund 8.500 Arbeitsplätzen angesiedelt. Die Britische Rheinarmee war auch in Niederkrüchten mit ihrem Luftwaffenstützpunkt und bis zu 800 zivilen Mitarbeitern ein wichtiger Arbeitgeber. Doch das ist Geschichte; geblieben ist dagegen die 1925 als Stellmacherei gegründete Firma Holzleimbau Derix, die ab 1954 als Zimmerei und Bauschreinerei weitergeführt wurde und heute in dritter Generation an den Standorten Niederkrüchten-Dam sowie Westerkappeln/Osnabrück über 180 Mitarbeiter beschäftigt.

Aus fünf wird eins


Ganz anders verlief die Entwicklung in Nettetal. Die Seenstadt am Niederrhein ist 1970 durch den Zusammenschluss von fünf Städten und Gemeinden entstanden, die sich ganz unterschiedlich entwickelt haben. So wurde Lobberich vor allem durch die Textil- und Armaturenindustrie geprägt, wie man am Beispiel der 1927 aufgebauten Betriebsgemeinschaft Niedieck/de Ball oder der Guss-Armaturenwerke Rokal sieht. Breyell und Schaag dagegen punkteten durch die Stahl- und Lederindustrie sowie das Händlergewerbe in Gestalt der Fabrikantenfamilie Rötzel, die als erfolgreiche Krämer-Kaufleute sogar eine eigene Geheimsprache hatten. Die Grenzlage begünstige dagegen Kaldenkirchen mit Speditionen sowie Tabak- und Zigarettenindustrie. Der Ort trägt nicht umsonst den Namen: Brücke zu den Niederlanden. Leuth und Hinsbeck sind traditionell landwirtschaftlich verortet und profitieren vom Tourismus. So sind beide Gemeinden heute staatlich anerkannte Erholungsorte. Mit der Anton Thelen GmbH stellt Nettetal eines der ältesten Handwerksunternehmen in Nordrhein-Westfalen. Eine erste urkundliche Erwähnung des Betriebs für Schreinerarbeiten ist auf 1726 datiert. Seitdem steht das Stammhaus des Unternehmens im beschaulichen Nettetal-Leuth und ist mit mehr als 150 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber der Region. Das inhabergeführte Unternehmen besteht in der 16. Generation und vereint derzeit allein in der Geschäftsführung drei Generationen unter einem Dach. An sieben Standorten in NRW bietet Thelen Kompletteinrichtungen, hochwertige Einbauküchen, maßgefertigte Möbel aus eigener Manufaktur sowie alle internationale und nationale Markenhersteller für Interieur.

Mit erzbischöflicher Genehmigung


Noch viel weiter zurück reicht die Geschichte des Hospitals zum Heiligen Geist. Johann Arnold von Broichhausen, Kempener Bürger und Ministerialbeamter des Kölner Erzbischofs, verfügte in seinem Testament im Jahre 1390 eine für die Stadt Kempen wichtige Stiftung. Er wünschte in Kempen die Einrichtung eines Gasthauses, des Hospitals zum Heiligen Geist. Diese Stiftung wurde im Jahre 1410 erweitert und 1421 vom Kölner Erzbischof bestätigt und genehmigt. Die Stiftung sollte armen Kempener Bürgern zeitlebens und unentgeltlich Wohnung und Pflege geben. Aus der Institution wurde 1842 ein Krankenhaus, das heute nach vielen Modernisierungen Teil der Artemed Gruppe ist und auf das die Kempener zu Recht stolz sein können.

Deutschlands Kafferöster


Last, but not least werfen wir an dieser Stelle einen kurzen Blick auf ein 1880 in Viersen gegründetes Kolonialwarengeschäft. Die Rede ist natürlich von Kaiser’s, dessen Historie eng mit Viersen verbunden ist und das seinen Erfolg einer besonderen unternehmerischen Leistung verdankt. So gelang es Josef Kaiser, selbst gerösteten Kaffee zunächst im Laden seiner Familie und dann über ein eigenes Filialnetz am Markt zu etablieren. Eine wahre Marktlücke, denn die Nachfrage nach Kaffee wurde durch den bescheidenen Luxus der Gründerjahre in der Bevölkerung befeuert. Kaiser expandierte deutschlandweit in bester Lage. So wurde bereits 1905 die 1.000. Filiale eröffnet. Auch erweiterte das Unternehmen sein Angebot um Dauergebäck und Schokolade aus eigener Fabrikation. In der Nachkriegszeit wurde dann 1952 in Duisburg das erste Selbstbedienungsgeschäft eröffnet und knapp 20 Jahre später wurde das Unternehmen schließlich 1971 von der Tengelmann Gruppe übernommen.
André Sarin | redaktion@niederrhein-manager.de
Ausgabe 07/2016