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Google Fonts: Was Sie gegen die Abmahnung tun können

Ein neues Gesetz hatte die Flut rechtsmissbräuchlicher, teils existenzvernichtender Abmahnungen eingedämmt. Aber nun steht erneut ein Tsunami bevor.

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von Regiomanager 06.01.2023
(© monticellllo – stock.adobe.com)

Die neue Masche lautet „Google Fonts“. Dies sind Schriftarten, die Google zur freien Verwendung bereitgestellt hat und standardmäßig über Google-Server eingebunden sind. Jedes Mal, wenn jemand eine Website mit Google-Fonts besucht, wird dadurch auch seine dynamische IP-Adresse an Google in den USA übermittelt. Da sich daraus letztlich die Identität des Website-Besuchers bestimmen lässt, sah das Landgericht München im Januar 2022 hierin einen Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Website-Besuchers. Es sprach dem Kläger einen Schadenersatz von 100 Euro zu. Auf dieses Urteil stützt sich die neue Abmahnwelle.

Zahlen bis zum Tod

Im klassischen Abmahn(un)wesen mahnen Mitbewerber einander ab, oder aber bestimmte Wirtschaftsverbände oder Verbrauchervereine sprechen Abmahnungen wegen Verstößen gegen das Wettbewerbs- oder das Urheberrecht aus. Die Abgemahnten müssen die Anwaltskosten tragen und eine Unterlassungserklärung abgeben. Jeder künftige gleichartige Verstoß kann sie – irgendwann und damit theoretisch bis ans Lebensende – ganz empfindlich Geld kosten.
Bei der neuen Abmahnmasche treten dagegen Privatpersonen gegen Firmen auf, und zwar wegen Verstößen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Das ist das Neue daran. „Mein Mandant hat keine Kontrolle mehr über die Information der IP-Adresse und deren Nutzung“, steht in einem Anwaltsschreiben, das ein Unternehmen in NRW im Oktober erhielt. Da die DSGVO in den USA nicht gelte, wüsste er auch nicht, was Google mit den hier ohne sein Einverständnis übertragenen Informationen ansonsten mache. Der Anwalt wird tätig für einen Herrn Wang Yu, von dem keine Anschrift mitgeteilt wird; in späteren Abmahnwellen geht es um eine Frau Wang Yu.
Neben Unterlassungs-, Löschungs- und Auskunftsansprüchen aus der DSGVO und dem Bürgerlichen Gesetzbuch wird ein Schadenersatz von 140 Euro geltend gemacht. Mitsamt Geschäftsgebühr und Postentgelten summiert sich die Gesamtforderung auf knapp 230 Euro, in anderen auf knapp 240 Euro. Die Kanzlei Lenard vertritt dagegen einen Martin Ismail; hier entstehen keine Anwaltskosten. Die Rechnung liegt bei 170 Euro.

Eine Million Fälle?

Schätzungen zufolge könnten inzwischen schon über eine Million Abmahnungen verschickt worden sein. Diesen Schluss legt zum Beispiel der Vergleich der offenbar fortlaufenden Nummerierung bei den Aktenzeichen nahe. „Wir haben mal die Aktenzeichen überschlagen“, meint Rechtsanwalt Dr. Carsten Föhlisch, der auch die Legal Services bei Trusted Shops verantwortet. „Danach müssten in drei Tagen 50.000 Abmahnungen rausgeschickt worden sein. Und wenn nur jeder Zehnte bezahlt, ist das in drei Tagen eine Million, die man damit machen kann.“ Zum Kalkül gehöre gerade die nicht exorbitant hohe Rechnung. „Das ist genau das Geschäftsmodell. Wenn Sie zu einem guten Anwalt gehen, nimmt der einen Stundensatz von 300 Euro. Dann wäre die Verteidigung teurer als das, was sie zahlen sollen. Und deswegen zahlen halt viele, weil der Vorwurf an sich berechtigt ist.“ Föhlisch zufolge entscheiden vermutlich auch andere deutsche Gerichte ähnlich wie das Landgericht München.

Webcrawler

Beim Deutschen Schutzverband gegen Wirtschaftskriminalität (DSW) legt man mittlerweile Fallsammlungen an: zum Beispiel von Firmen, die auf ihrer Website gar keine Google Fonts oder diese nur lokal – und nicht über Google-Server – eingebunden haben. „In etlichen Fällen ist die IP-Adresse des angeblichen Website-Besuchers auch gar nicht auf der Site des betroffenen Unternehmens zu finden“, so Hildegard Reppelmund, Referatsleiterin Wettbewerbsrecht beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag. „Man kann sich auch fragen: Ist es denn eine Verletzung eines Persönlichkeitsrechts einer natürlichen Person, wenn jemand mithilfe eines Webcrawlers Seiten durchstöbert und dann in einer Riesenzahl abmahnt?“ Als Sofortmaßnahme empfiehlt der DSW, die eigene Website überprüfen zu lassen und die dynamische Einbindung von Google Fonts auf eine lokale Einbindung umzustellen.

Das richtige Verhalten

Ist eine Reaktion auf die Abmahnung erforderlich? „Zur effektiven Rechtsverteidigung nicht“, heißt es beim DSW. „Im unwahrscheinlichen Fall einer Klage kann man den ohnehin nicht sehr hohen Zahlungsanspruch unter Inkaufnahme weiterer Kosten, die sich an der Höhe der Klagesumme orientieren, auch noch vor Gericht anerkennen.“ Anders Rechtsanwalt Carsten Föhlisch: „In der Vergangenheit war’s so, dass weitergemacht wurde bei denen, die nicht reagiert haben, weil da eben die größten Erfolgschancen bestehen, doch noch Geld zu bekommen.“ Wer dagegen einmal „qualifiziert zurückschießt“, also eine gute Kanzlei zurückschreiben lasse, der habe Ruhe.
Die Abmahnung als Instrument, mit dem zum Beispiel Verstöße gegen das Wettbewerbs- oder das Urheberrecht schnell und effizient gelöst werden können, ohne Behörden oder Gerichten zu bemühen, hat sich im Prinzip sehr bewährt. Die Marktteilnehmer machen das im Prinzip untereinander aus. Vor einigen Jahren dann wurden bevorzugt kleine Marktteilnehmer im großen Stil mit Abmahnungen überzogen, vor allem um Kasse zu machen. Meist wegen Lappalien, oft wegen Verstößen, die aufgrund technischer Rahmenbedingungen unbeherrschbar waren. Manche mussten sogar aufgeben. Das „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“, in Kraft seit Dezember 2020, hat das effizient abgestellt, so das allgemeine Urteil. Dies erfolgte etwa durch die Verringerung der finanziellen Anreize für Abmahner und dadurch, dass Mitbewerber nur noch dann abmahnen dürfen, wenn sie selbst ähnliche Waren oder Dienstleistungen nachfragen oder vertreiben.
Dies zeigt sich auch an den Zahlen. „Nach dem Spitzenjahr 2020 mit 745 Abmahnungen unter den Trusted-Shop-Mitgliedern sind die Abmahnungen deutlich zurückgegangen. 2021 waren es noch 540 und 2022 bis zum September 329. Aber allein im Oktober dieses Jahres waren es dann schon 191. Wir sehen hier die Renaissance der rechtsmissbräuchlichen Abmahnung in einer anderen Konstellation“, so Rechtsanwalt Föhlisch.

Nur eine Vorhut?

Was die Zukunft bringt? „Ich befürchte, Google Fonts ist nur die Vorhut. Wir haben Google Analytics, wir haben Hubspot, Facebook – allesamt Tools aus den USA, die ohne seriöses Opt-in Daten sammeln und dorthin liefern“, meint Föhlisch. Angesichts der Vielzahl von Webdiensten, die Daten in die USA liefern, empfiehlt er, die eigene Website gründlich hinsichtlich DSGVO unter die Lupe zu nehmen, denn zur Überraschung vieler gab es keinen Abmahn-Boom, als sie 2018 in Kraft trat. Das könnte sich nun ändern. Auch Hildegard Reppelmund empfiehlt, offene Datenschutzflanken auf der Unternehmenswebsite zu schließen.
Claas Syrt Möller | redaktion@regiomanager.de

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(© iLee – stock.adobe.com)

Rechtsanwalt Carsten Föhlisch

DIHK-Referatsleiterin Wettbewerbsrecht Hildegard Reppelmund (© Paul Aidan Perry)

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