Management

Management-Tipps: Was bringt die Day-One- Mentalität wirklich?

Amazon-Chef Jeff Bezos liebt es, Management-Tipps zu geben. Manche seiner Prinzipien helfen auch Mittelständlern in ihrem Alltag. Aber längst nicht alle sind für KMUs passend.

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von Regiomanager 06.09.2022
© HBS – stock.adobe.com | Barbara Bocks

An Jeff Bezos, Gründer von Amazon, scheiden sich die Geister. Mitunter wird er als Feldwebel skeptisch beäugt. Aber sein wirtschaftlicher Erfolg ist wohl unbestritten. Berühmt-berüchtigt ist er auch für seine Management-Tipps. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Zwei-Pizza-Regel. So sollen laut Medienberichten bei Amazon nur Meetings mit einer Personenanzahl stattfinden, die von zwei Pizzen gemeinsam satt werden, damit diese effizienter ablaufen. Ein Klassiker, auf dem er die gesamte Organisation von Amazon aufgebaut hat, ist die sogenannte „Tag-1-Mentalität“, die laut Bezos für den Erfolg von Amazon verantwortlich sein soll.
Jeff Bezos: „Unermüdliche Kundenorientierung, langfristige Wertschöpfung gegenüber kurzfristigen Unternehmensgewinnen und viele mutige Wetten begründen die Tag-1-Mentalität.”
Im Kern beinhaltet diese u.a. die folgenden Prinzipien: „unermüdliche Kundenorientierung, langfristige Wertschöpfung gegenüber kurzfristigen Unternehmensgewinnen und viele mutige Wetten“. Ursprünglich hat Bezos diese Prinzipien im Jahr 1997 in einem Brief an die Stakeholder veröffentlicht. Auch heutzutage sind sie noch Teil jedes Jahresberichts des Konzerns. Auf den ersten Blick klingt das nach einem Erfolgsrezept, das für sehr viele Unternehmen gelten könnte.

Kundenorientierung als Kern
des Geschäftsmodells

Aber kann man diese Grundprinzipien, die Amazon groß gemacht haben, auch eins zu eins auf den deutschen Mittelstand übertragen? Professor Dr. Ingo Ballschmieter, Dekan des Fachbereichs Wirtschaft und Wissenschaftlicher Leiter Open Innovation City der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) GmbH in Bielefeld, sagt dazu Ja und Nein: „Diese Grundprinzipien gelten auch in diesen Zeiten, aber auch mit gewissen Unterschieden für den Mittelstand.“ Unmittelbare Kundenorientierung ist laut Professor Ballschmieter in kleinen und mittelständischen Unternehmen häufig der Kern des Geschäftsmodells.
Unternehmerische Entscheidungen müssten zwangsläufig im Abgleich mit den Kundenanforderungen gefällt werden. „Auch eine langfristige Wertschöpfung und sogar generationenübergreifendes Handeln sind bei vielen Mittelstandsunternehmen die Basis. Das liegt bereits an der oftmals vorliegenden Einheit von Eigentum und Leitung“, so Professor Ballschmieter. Die Fehlertoleranz sei bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) deutlich geringer als bei Konzernen. Aber die Aussage zu den Wetten würde der Wirtschaftsexperte relativieren: „Zwar ist jede neuartige unternehmerische Ausrichtung mit einem Risiko
verbunden, allerdings sollten diese Risiken vor dem Hintergrund der obigen Merkmale überschaubar bleiben und nicht das Kerngeschäft gefährden.“

Flaschenhals-Problematiken
bei zu schnellem Wachstum

Wenn ein Unternehmen im Laufe der Zeit wächst, besteht laut Jeff Bezos die Gefahr, dass sich die Entscheidungsfindung verlangsamt, das Unternehmen weniger agil wird und sich mehr auf interne Herausforderungen als auf Kunden konzentriert. Das sieht der Wirtschaftsprofessor ähnlich: „Wachstum und Professionalisierung gehen mit umfangreicheren Strukturen einher, die wiederum interne Herausforderungen mit sich bringen.“ Mittelständische Unternehmen hätten aber häufig den Vorteil zentralisierter Entscheidungen und kurzfristiger Entscheidungswege. Das sorgt aber laut Professor Ballschmieter mitunter „für das Risiko, dass diese erforderlichen Strukturen zu spät nachgezogen werden, um weiterhin von diesen kurzen Entscheidungswegen zu profitieren“. Das führe dann häufig zu Flaschenhals-Problematiken, die sich zuerst auf die interne und später auf die Kundenzufriedenheit auswirken. Jeff Bezos hat wohl auch gerne mal gesagt: „Wir senken die Preise und steigern den Wert für die Kunden, bevor wir müssen.“ Diese Vorgehensweise ist aus Professor Ballschmieters Sicht für Mittelständler nur dann eine schlaue Idee, wenn es um eine Handelsplattform geht, auf der Güter gehandelt werden, die Kunden auch anderswo beziehen können. Hier sei der Preis das ausschlaggebende Kaufkriterium. Gerade im Mittelstand gebe es aber häufig spezialisierte Anbieter, die sich nicht über den Preis, sondern über die Qualität differenzieren. „Oftmals ist es hier gar nicht erforderlich, den Preis vorsorglich anzupassen, da er nicht das wesentliche Kaufkriterium darstellt.“

Open Innovation
sichert die Zukunft

Wenn Mittelständler eine kundenfokussierte Unternehmenskultur leben wollen, ist laut Professor Ballschmieter ein vielmehr gutes Verständnis der tatsächlichen Kundengruppen und ihrer Bedürfnisse elementar. In der Praxis sollten sich Unternehmer also eingehend mit Fragen wie „Wer kauft bei uns und warum?“ beschäftigen. Denn eine valide Antwort auf diese Frage wirkt sich laut Professor Ballschmieter auf den Wertbeitrag aus, den das Unternehmen über seine Produkte und Dienstleistungen liefert.
Professor Dirk Ballschmieter: Open Innovation ist eines der Kernprinzipien für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Mittelstands.“
Der Wirtschaftsprofessor rät Unternehmern, Kunden bereits bei der Produktentwicklung einzubeziehen, damit nicht am Markt vorbeientwickelt wird. „Dazu ist eine gewisse Offenheit erforderlich, diesen Input von außerhalb des Unternehmens zuzulassen – nicht nur in der Geschäftsführung, sondern auf allen Ebenen.“ Das Unternehmen könne dabei viel lernen, beispielsweise über die Relevanz von Nachhaltigkeitsaspekten, über die Preissensitivität der Kunden oder einfach über die Weiterentwicklung seiner Produkte. Auch eine Infrastruktur in der Stadt vor Ort mit Partnerschaften im Bereich Forschung und Entwicklung – auch über Märkte hinweg – kann die Innovation in Unternehmen unterstützen (siehe Grafik). Für Professor Ballschmieter beschreibt der Begriff Open Innovation diese Offenheit am besten. Aus seiner Sicht ist sie „vielleicht eine der Kernprinzipien für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Mittelstands“.

Kundeninformationen gut
intern kommunizieren

So weit die Theorie; in der Praxis mangelt es laut dem Bielefelder Wissenschaftler in einigen Firmen an Rückkopplungsmechanismen, die ein besseres Angebot möglich machen. Als typisches Beispiel nennt er Verbesserungsvorschläge seitens der Kunden, die nicht vom Außendienst in die Produktentwicklung gelangen, da die Kommunikation im Unternehmen nicht in diese Richtung auslegt ist, die Instrumente fehlen oder die Kompetenzen beim Personal nicht etabliert sind. In einer kundenfokussierten Unternehmenskultur sind diese Mechanismen Professor Ballschmieter zufolge „allerdings das A und O, um Innovation zu ermöglichen“.Barbara Bocks
| redaktion@regiomanager.de

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