Management

Kundenservice vs. Self-Service: Vom Kunden zum Kollaborateur

Wie die Zusammenarbeit zwischen Kunde und Unternehmen Beziehungen stärkt und Ressourcen schont.

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von REGIO MANAGER 18.03.2024
(© ­­­master1305 − stock.adobe.com)

Wenn man den Begriff Kundenservice hört, denkt man an eine einseitige Dienstleistung. Der Kunde teilt ein Problem, der Kundenservice löst dieses. Oftmals ist das auch so. Doch Kundenkommunikation – und die daraus resultierende Beziehung – muss keine Einbahnstraße sein. Loyalität kann man pflegen, indem man zuverlässig Probleme löst – und Kunden mit ins Boot holt.

 

Vom Konsumenten zum Prosumenten

Banal gesagt handelt es sich bei Kundenservice um alles, was ein Unternehmen vor, während und nach dem Kauf macht, um den Kunden bei Kauf und Nutzung des angebotenen Produkts oder der Dienstleistung zu unterstützen. Die Ressourcen des Kundenservices – allem voran der Angestellte – werden bei diesem Prinzip klar auf eine Betreuung des Kunden im Kontext des Kaufes verwendet. Beim hier präsentierten Konzept des Self-Service dagegen verschieben sich Augenmerk und Ressourcen weg vom Kauf und hin zum Kundenerlebnis.  

Bei „Self-Service“ denkt man unweigerlich an unbemannte Tankstellen oder Supermarktkassen, bei denen der Kunde selbst scannt. Das ist definitiv eine Art von Self-Service. Es kann aber noch einige Schritte weiter gehen. Der Begriff „Prosument“ ist eine Kombination aus „Produzent“ und „Konsument“ – zwei Konzepte, die vermeintlich an entgegengesetzten Enden des Spektrums platziert sind. Futurologe Alvin Toffler prägte diesen Begriff 1980 in seinem Buch „Die Dritte Welle“. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit Zukunftstrends in Soziologie und Wirtschaft. Für ihn ist klar: Der moderne Mensch hat einen inneren Wunsch, in allen Bereichen seines Lebens mitzumischen. Auch im Konsum. Im Bereich des Web 2.0, Tofflers liebstem „Spielplatz“ für Innovation, sehen wir mit dem Ausbau der sozialen Medien und daraus resultierendem User-Generated-Content eine Abstrahierung des Prosuming. Statt das Internet nur zu konsumieren, kreieren die Nutzer eigenständig und ohne finanziellen Gegenwert Content zu ihrer eigenen Erheiterung, sowie der Erheiterung Millionen anderer Nutzer.

 

Der Arbeitende Kunde

Der Begriff des Arbeitenden Kunden wurde von Arbeitspsychologin Kerstin Rieder auf Basis von Tofflers Überlegungen entwickelt. In ihrem gleichnamigen Buch (Voß/Rieder 2005) spricht sie über die „Subjektifizierung“ des Kunden, die über klassische Methoden des Self-Service hinausgeht. Der Kunde ist ein wichtiger Partner im Bereich von Produktentwicklung, Innovation, Qualitätskontrolle, Marketing und vielem mehr. Man nehme Kunden, die Shirts mit einem Aufdruck des Firmenlogos tragen und somit laufende Werbetafeln werden. Kunden, die ihre Pakete via Packstationen selbst einliefern und abholen. Kunden, die online Updates für ihre technischen Geräte recherchieren und diese selbst umsetzen.  Self-Service findet sich, meist unsichtbar, über alle Branchen und Tätigkeitsbereiche hinweg. Kunden werden so klammheimlich und oft unbewusst zu inoffiziellen Mitarbeitern eines Unternehmens und nehmen an der Wertschöpfungskette als Partner, statt nur als Endverbraucher,  teil.

 

So entlastet Self-Service das Unternehmen

Self-Service hat einen schlechten Ruf. Im Beispiel der selbst-scannenden Kassen im Supermarkt kommt die Frage auf, ob die Maschinen nur da sind, um Menschen zu verdrängen und dem Unternehmen Geld zu sparen. Geld ist auf jeden Fall ein Faktor, wenn Unternehmen sich dazu entscheiden „Menschenjobs“ an Maschinen oder automatisierte Services – zum Beispiel Chatbots – weiterzugeben. Zu denken, dass Self-Service Menschen aus der Arbeitswelt verdrängt, ist aber ein Trugschluss. Menschen haben Fähigkeiten, die Maschinen und künstliche Intelligenz noch lange nicht haben werden, wenn überhaupt je. Es macht Sinn, untergeordnete Aufgaben an Maschinen weiterzugeben und die menschlichen Angestellten mit den offenen Ressourcen zu befähigen. Denn: genau so, wie Self-Service verspricht, Kunden mehr Einfluss zu geben, so sollte es auch bei den Arbeitern sein. Grundsätzlich steht das Prinzip Self-Service für Entlastung aufseiten des Unternehmens und Befähigung aufseiten des Kunden.

 

Beispiele für erfolgreichen Kunden-Self-Service

Man kann Kunden auf die verschiedensten Arten befähigen. Das fängt schon dort an, wo man simple Aspekte des Kundenservice in die Hände der Kunden gibt: Dazu gehören unter anderem vom Unternehmen gemanagte Communities und Foren, in denen Produkte und Services diskutiert werden können. Statt dass ein Kunde beim ersten Anflug von Problemen die Nummer des Kundenservices wählt, können Fragen hier 24/7 an andere Mitglieder der Community gestellt werden. Über Problemlösungen hinaus ist der arbeitende Kunde aber sogar dazu fähig, Teile der Unternehmensarbeit direkt zu übernehmen.

 

Serviced Apartments

Ein typisches Beispiel findet man im Bereich der Serviced Apartments. Diese sind weniger Hotelzimmer als voll möblierte, auch kurzzeitig mietbare Apartments und vermitteln ein Gefühl von Zuhause. Als Alternative zur klassischen Hotelerfahrung lockt das Angebot Kunden an, die einen gewissen Grad an Selbständigkeit wünschen. Diese Kunden tauschen Annehmlichkeiten wie das Frühstücksbuffet und den täglichen Reinigungsdienst für Perks wie Wasch- und Spülmaschinen ein – und sind gerne bereit, selbst Hand anzulegen, um sich ihre Flexibilität und Privatsphäre zu bewahren.

 

IKEA

Julian Kleinknecht, Gründer vom Blog Conversion-Boosting, sagt klar: „Wenn der Kunde Zeit oder Arbeit in ein Produkt investiert, liebt er es auch.“ Das Prinzip IKEA besagt, dass der Zeitaufwand und die Auseinandersetzung beim Aufbau der Möbel ein anderes emotionales Verständnis zu Produkt und Unternehmen schafft. Das Möbelstück ist nicht mehr einfach ein Objekt, das man in einem Möbelhaus gekauft, sondern etwas, das man mit seinen eigenen zwei Händen errichtet hat. So hat der Kunde eine ganz andere Beziehung zum Prozess. Gleichzeitig spart sich das Unternehmen Geld für Möbelpacker, Lieferwagen, Verpackung und Co.

 

Wikipedia

Wikipedia ist die bekannte Wissensplattform im Internet. Das wäre sie aber nie ohne ihre Nutzer geworden. Das Wiki bietet Artikel zu jedem Thema an, das sich ein Mensch nur vorstellen kann – und weckt so sowohl die Neugierde ihrer Nutzer als auch, etwas weniger nobel, den Wunsch, sich durch sein Wissen zu profilieren. Das ist gleichzeitig der große Vorteil, aber auch die Achillesferse des Wikis. Denn wenn jeder bearbeiten kann, wer stellt sicher, dass die Qualität – und Wahrheit – beibehalten wird? Hier werden die Ressourcen, die von den Nutzern „übernommen“ werden, von dem Wiki neu besetzt. Da Wikipedia eine Non-Profit-Organisation ist, die völlig auf Spenden angewiesen ist, macht es nur Sinn, Teile ihrer Arbeit outzusourcen. So können ihre beschränkten Ressourcen auf die Prüfung, Verwaltung und Aufrechterhaltung des Wikis – zum Beispiel durch Fachredaktionen – konzentriert werden. 

 

Fazit

Wer im Sinne des „Prosuming“ Arbeit an seine Kundschaft weitergibt, spart Geld, Zeit und Ressourcen im Kundenservice. Gleichzeitig verspricht das stärkere Involvement des Kunden eine Emotionalisierung für Unternehmen und Produkt. Was Unternehmen aber nicht vergessen dürfen: Bei Self-Service geht es allem voran um Befähigung der Kunden. Der Kunde muss wissen, was er wie tun muss, die richtigen Werkzeuge an die Hand bekommen und weiterhin vertrauensvollen Zugriff zum klassischen Kundenservice haben, sollte etwas schief gehen. IKEA liefert zu jedem Möbelstück eine umfangreiche Gebrauchsanleitung mit. In vielen Serviced Apartments hängen Telefone an der Wand, die den Kunden direkt mit einer (digitalen) Rezeption verbinden. Selbst an der Self-Service-Kasse bei Rewe steht noch ein Mitarbeiter in sichtbarer Nähe, um im Fall der Fälle Hilfe zu leisten. Die Ressourcen, die durch die Mitarbeit der Kunden gespart wird, müssen unweigerlich in die Weiterentwicklung der Angestellten und des Service fließen. Nur so führt Self-Service langfristig zu Kundentreue und Innovation.

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