Im Wald von Schömberg/Schwarzwald, so berichtet die NDR-Sendung „extra 3 Spezial: Der reale Irrsinn“ vom 26.März 2025, hat die Gemeinde 60 Sitzbänke unter Bäumen abgebaut. Der Grund: Es könnten Äste oder Zweige herunterfallen und Menschen verletzen, die dort eine wohlverdiente Rast einlegen. Zwar gelte es dem Bürgerlichem Gesetzbuch zufolge als „waldtypische Gefahr“, dass einem beim Waldspaziergang auch mal hier und da ein Zweig oder Ast auf den Kopf fallen kann. Doch wenn das Gleiche beim Rasten auf einer Bank passiert, sei dies eine „atypische Gefahr“, für die der Waldbesitzer hafte. Ist logisch, oder? Da muss man im Sinne der Sicherheit eben die Sitzbänke unter Bäumen abbauen.
Doch vielleicht geht es gar nicht so sehr um Sicherheit, sondern eher um das Problem der potenziellen Haftung? Oder vielleicht auch darum, dass es nicht gerade billig ist, regelmäßig und zusätzlich nach jedem Sturm die Bäume in einem Umkreis von 30 Metern zur Sitzbank auf Standfestigkeit und Totäste kontrollieren zu lassen? Denn so sind die Vorschriften nun mal. Und es gibt ja auch Alternativen: Sucht man sich halt einen Stein, auf dem man unter Bäumen sitzen und eine Rast einlegen kann. Besonders Menschen mit körperlichen Einschränkungen werden sich freuen.
Vorschriften, die vermeintlich Sicherheit und Ordnung schaffen, gleichzeitig aber die Eigenverantwortung (und im Falle der abgebauten Sitzbänke auch Annehmlichkeiten) nehmen, gibt es in Deutschland viele.
So dürfen in der Stadt Kiel laut Abfallsatzung seit 2024 Mülltonnen frühestens ab 18 Uhr am Abend vor dem Abholtag herausgestellt werden. Wer sich nicht daran hält und die Tonne früher herausstellt, dem droht ein Bußgeld. Die Begründung für diese Regelung: Die Sauberkeit der Stadt solle damit verbessert werden. Tonnen mit offenen Deckeln, die länger auf öffentlichen Flächen standen, hätten in der Vergangenheit unter anderem Ratten und Möwen angelockt, die den Müll kreuz und quer verteilten. Die öffentlichen Müllbehälter, an denen sich die Tiere ebenfalls bedienen, spielen dabei natürlich keine Rolle. Doch vielleicht vergessen Sie den letzten Satz besser. Ich will die Stadt Kiel nicht auf weitere Ideen bringen.
Auch beim Erfinden neuer Vorschriften, die vermeintlich Sicherheit und Ordnung erhöhen sollen, sind Städte und Gemeinden durchaus kreativ. Mit einem besonders interessanten Vorschlag geriet Ende 2024 erneut Kiel in die Schlagzeilen. Die Mobilitätsdezernentin der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt plante mit dem Argument „mehr Verkehrssicherheit“, neue Parkplätze in Kiel nur dann zuzulassen, wenn Autofahrer vorwärts ein- und ausparken können. Denn das Rückwärtsfahren berge eine erhöhte Gefahr für Unfälle. Eine solche Regelung hätte etwa für Grundstückszufahrten bedeutet, eine Möglichkeit zum Wenden schaffen zu müssen, was aufgrund mangelnder Grundstücksfläche vielfach nicht möglich gewesen wäre. Der Vorschlag wurde jedoch zurückgezogen. Vielleicht hat die Dezernentin ja bemerkt, dass die meisten neuen Autos mittlerweile einen Rückfahrassistenten haben, der automatisch bremst, wenn Hindernisse erkannt werden?
Man kann allmählich den Eindruck bekommen, dass die überbordenden Regelungen den Sinn haben, den Einwohnerinnen und Einwohnern von Deutschland die Eigenverantwortung zu nehmen oder gar: sie zu schikanieren. Kann ich nicht mehr selbst entscheiden, ob ich das Risiko eingehe, mich auf eine Bank unter einem Baum zu setzen? Andererseits – und das spielt sicher eine wichtige Rolle – hat sich in unserer Gesellschaft eine gewisse Vollkaskomentalität ausgebreitet. Eine nicht unwesentliche Zahl von Menschen hat die Einstellung: Der Staat soll mich auch vor Gefahren schützen, die eigentlich in meine eigene Verantwortung fallen. Und tut er das nicht, wird geklagt. Kein Wunder, dass die Städte und Gemeinden Vorsorge treffen, um im Falle des Falles auf der sicheren Seite zu stehen.
Ich fände es gut, könnten wir hier zu einem gesünderen Mittelmaß zurückkehren. Nicht alles, was geregelt werden kann, muss geregelt werden. Vor allem aber sollten für die Politik – nicht nur, aber insbesondere in den Kommunen – bei allen Entscheidungen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger im Vordergrund stehen. Eine Regelung, die Menschen ein Bußgeld auferlegen kann, wenn sie ihre Mülltonnen vor 18 Uhr herausstellen, gehört sicher nicht dazu.
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