Management

Experten-Interview: Stand des Nachhaltigkeitsreporting im Mittelstand

Im Gespräch mit dem REGIO MANAGER ordnet Interview-Partner Patrick Schaefer die aktuellen gesetzlichen Reformpakete zur Nachhaltigkeitsberichterstattung speziell im Hinblick auf KMU entsprechend ein.

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von Miriam Leschke 02.07.2025
(© ­­­Aliaksandra − stock.adobe.com)

RM: Herr Schaefer, die Nachhaltigkeitsberichterstattung soll in naher Zukunft auch für einige KMU verpflichtend sein. Nun hatte die EU im Februar die sogenannte Omnibus-Initiative auf den Weg gebracht, die Unternehmen von Berichtspflichten im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und der EU-Taxonomie entlasten soll. Sie sieht u. a. eine Erhöhung des Schwellenwerts betroffener Unternehmen von 250 auf 1.000 Mitarbeitende und eine Verschiebung der Berichtspflichten um zwei Jahre vor.

Patrick Schaefer: Die ursprüngliche Absicht auf europäischer Ebene bestand darin, alle Gesellschaften, die nach der europäischen Bilanzierungsrichtlinie als „groß“ eingestuft werden, zur Nachhaltigkeitsberichterstattung zu verpflichten. In den meisten europäischen Ländern ist die Richtlinie bereits bis Ende 2024 in nationales Recht umgesetzt worden, in Deutschland ist das Umsetzungsgesetz mit dem Ende der letzten Regierung mitten im Prozess hängengeblieben. Einige Minister aus der deutschen Minderheitsregierung haben danach noch vor Ende 2024 zusammen mit Vertretern anderer EU-Länder in Brüssel für eine Verschiebung und eine Reduktion der bis dahin vorgesehenen Berichtsverpflichtungen geworben, was letztendlich in die sog. Omnibus-Initiative der EU im Februar 2025 gemündet ist. Die Vorschläge für Erleichterungen sehen im Wesentlichen wie folgt aus:

Verschiebung der Erstanwendung der Berichterstattung nach der CSRD um zwei Jahre

Reduktion des Anwendungsbereichs der zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nach den sog. full ESRS verpflichteten Unternehmen um rund 80 Prozent, dadurch Annäherung an den Verpflichtetenkreis der CSDDD (europ. Lieferkettensorgfaltsrechtsrichtlinie). Die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nach den ESRS soll dadurch nur noch für große Unternehmen im Sinne des HGB mit mehr als 1000 Beschäftigten gelten, bei zusätzlich entweder einem jährlichen Umsatz von mehr als 50 Mio. Euro oder einer Bilanzsumme von mehr als 25 Mio. Euro

Überarbeitung des vollständigen ersten Satzes der full ESRS mit dem Ziel der erheblichen Reduktion der Anzahl der Datenpunkte sowie der Klärung unklarer Bestimmungen und der Verbesserung der Kohärenz mit anderen Rechtsvorschriften

• ein Aufbau mehr sektorspezifischer Standards

Begrenzung für Informationen aus der Wertschöpfungskette (sog. Value Chain Cap) für Unternehmen, die selbst nicht (mehr) in den persönlichen Pflichtanwendungsbereich der full ESRS fallen, auf den freiwilligen Berichtsstandard VSME der EFRAG („Volontary Sustainability Reporting Standard for Small and Medium-sized Enterprises“).

Mittlerweile ist die Verschiebung der Erstanwendung für die restverpflichteten Unternehmen (sog. „Stop the clock“-Vorschlag) von Rat und Parlament der EU angenommen worden. Die anderen Aspekte der Veränderungen befinden sich in den Beratungen der genannten relevanten EU-Gremien, ein Überarbeitungsauftrag für die ESRS-Standards ist seitens der EU-Kommission an die EFRAG erteilt worden. Es gibt sogar Vorschläge in den Beratungen, die den Schwellenwert auf 3000 Beschäftigte hochsetzen. Es wird aber jedenfalls erwartet, dass bis zum Herbst 2025 drei Omnibus-Initiativen auf europäischer Ebene umgesetzt sind. Bis zum Ende 2025 soll dann der nationale Gesetzgeber das in das nationale Recht umsetzen.

RM: Was bedeutet das nun konkret für KMU oder typische KMU – können sich die Unternehmen nun erst einmal entspannt zurücklehnen?

PS: Mit der Reduktion des Anwendungsbereiches der full ESRS wird also eine neue Gruppe von Unternehmen geschaffen, die Kategorie der sog. „small MidCaps“. Das beinhaltet die, die zwar „groß“ sind, aber eben weniger als 1000 oder sogar 3000 Beschäftigte haben. Diese Gruppe umfasst sicherlich auch eine größere Zahl von KMU, die mit Umsetzung der vorhin genannten Vorschläge auf EU-Ebene aufgrund der deutlichen Anhebung des Schwellenwertes zur Zahl der Mitarbeitenden erst einmal aus der Berichterstattungsverpflichtung und so aus dem starken damit verbundenen Zeitdruck herausfallen. Ob diese Gruppe sich perspektivisch entspannt zurücklehnen kann, ist im Augenblick aber noch nicht klar. 

Denn: Es ist europäisch unter dem Stichwort Omnibus 3 geplant, unter Berücksichtigung des schon genannten VSME-Standards einen weiteren – wahrscheinlich reduzierten – ESRS-Berichterstattungsstandard zu schaffen, der für diese Gruppe relevant werden kann, ob pflichtgemäß oder freiwillig, wissen wir noch nicht. Das soll im Laufe des Jahres 2025 umgesetzt werden.

RM: Apropos: Dieser freiwillige VSME-Standard ist im Dezember 2024 veröffentlicht worden. Inwiefern hilft er KMU dabei, Nachhaltigkeitsanforderungen zu erfüllen?

PS: Der VSME-Berichtsstandard, wie wir ihn aktuell vorliegen haben, richtet sich vor allem an Unternehmen, die nicht direkt unter die Berichtspflicht nach den full ESRS fallen, aber sich dennoch offen für die Orientierung ihres Geschäftsmodells an den Themen und Chancen der Nachhaltigkeit zeigen und damit ihr Unternehmen resilienter machen wollen. Es handelt sich um einen freiwilligen Berichtsstandard, der insbesondere kleine und mittlere Unternehmen dabei unterstützen soll, zunächst ihr eigenes Nachhaltigkeitsmanagement aufzubauen oder zu festigen und darauf basierend über ihre Nachhaltigkeitsleistungen strukturiert und transparent zu berichten. Der VSME ist so konzipiert, dass er eine deutliche Konzentration der Berichterstattungsanforderungen zum Thema Nachhaltigkeit auf die wesentlichen Kernelemente umfasst.

Im Gegensatz zu den zwei allgemeinen und zehn themenspezifischen Berichterstattungsstandards der full ESRS handelt es sich beim VSME um einen Leitfaden, der thematisch in zwei wesentliche Blöcke aufgeteilt ist: das Modul „Basic“, das elf Mindestthemen definiert mit etwa 45 Datenpunkten, und das ergänzende Modul „Comprehensive“, das zusätzliche neun Berichtsthemen mit etwa 40 Datenpunkten enthält. Im Vergleich: Die full ESRS verfügen aktuell noch über etwa 1200 Datenpunkte. Das KMU kann hier wählen, ob es seine Angaben ausschließlich zu „Basic“ abgibt oder zu beiden Modulen berichtet. Zum Modul Basic gehören vor allem die Themen Transitionsplan, Energieverbrauch und CO2-Emissionen, Wasserverbrauch, Kreislaufwirtschaft, Berichterstattung zu Strukturen bei der Belegschaft und zu Aspekten der Governance.

Wie vorhin schon ausgeführt, soll die Berichterstattung nach diesem Standard – abseits der freiwilligen Anwendung – auch die Berichterstattungsobergrenze für die durch andere Unternehmen bedingte nachhaltigkeitsbezogene Rechenschaftslegung darstellen. Der Regelfall in diesen Zusammenhängen dürfte wohl so beschaffen sein, dass die Unternehmen, die in ihrer Wertschöpfungs- oder Lieferkette andere dazu verpflichten, Informationen zu liefern, selbst verpflichtet sind, ihre Berichterstattung  nach den full ESRS abzugeben.

Die Beschränkung des Berichterstattungsumfangs auf VSME ermöglicht dabei unter Aspekten einer Kosten-Nutzen-Betrachtung eine deutliche Effizienzsteigerung für die Bereitstellung von Nachhaltigkeitsinformationen durch KMU. Die Liste der interessierten Stakeholder wächst, es können Geschäftspartner:innen, Banken, Versicherungen oder andere Stakeholder sein bis hin zu den Anforderungen aus potenzieller Personalrekrutierung. Die externe Prüfung solcher Nachhaltigkeitsinformationen erhöht dabei noch deren Vertrauenswürdigkeit.

RM: Was raten Sie KMU, die gerade erst dabei sind, ein Nachhaltigkeitsmanagement einzuführen – wo sollten sie unter Berücksichtigung des Reformpakets zur Vereinfachung am besten ansetzen?

PS: Ein ganz elementarer Schritt für KMU in Verbindung mit dem Aufbau eines Nachhaltigkeitsmanagements besteht in der Durchführung der sog. doppelten Wesentlichkeitsanalyse – für das Bewusstwerden über folgende zwei Seiten des Themas:

1) Welche Themen des äußeren Umfeldes (umweltbezogen, sozial- und gesellschafts- sowie governancebezogen) beeinflussen mein/das Unternehmen wesentlich mit Bezug zur Vermögens-, Finanz- und/oder Ertragslage?

2) Welche Themen des Geschäftsmodells betreffen das äußere Umfeld des Unternehmens wesentlich?

Auf allen Bereichen, bei denen sich unter Anwendung eigener Definitionen Wesentlichkeiten herausstellen, liegt dann der Fokus des Nachhaltigkeitsmanagements. Sollte sich später – aus welchen Gründen auch immer – der Bedarf nach einer nachhaltigkeitsbezogenen Berichterstattung noch ergeben, verpflichtend oder freiwillig, so konzentriert sich diese dann nur auf die als wesentlich erkannten Themen. Der VSME-Standard leistet dabei eine Hilfestellung zur weiteren thematischen Orientierung. Nur zur aktuellen Information: Der VSME-Standard fordert diese doppelte Wesentlichkeitsbetrachtung nicht, sie erleichtert jedoch deutlich die Befassung mit den Themen der Nachhaltigkeit und deren Strukturierung.

Auch hat der Deutsche Nachhaltigkeits-Kodex (DNK) – ein Berichterstattungsstandard mit ca. 20 Themen, nach dem KMU bisher bereits seit längerer Zeit in Deutschland berichten konnten – angekündigt, dass er für Spätsommer 2025 eine separate kostenlose Plattform zur digitalen Berichterstattung nach VSME bereitstellen wird (dazu liegt bereits eine Gap-Analyse gegen den DNK vor). Für das Handwerk plant der DNK zudem zusammen mit den Handwerksverbänden eine kostenlose digitale Berichterstattungsplattform nach VSME.

Zusammenfassend kann sicherlich festgehalten werden, dass der VSME für KMU ein inhaltlich leistbares, im Aufwand noch vertretbares und durch die Mehrfachnutzbarkeit bereitzustellender Informationen hocheffizientes Medium darstellt.

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