Privat im Revier

Künstlerporträt Leo Namislow: Gemalte Argumente

Im Essener Atelier von Leo Namislow entsteht Kunst, die mehr will als schmücken – sie fordert Dialog, Empathie und den Mut zum kreativen Umweg.

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von Emrich Welsing 17.11.2025 Anzeige

Die Industriearchitektur im Hinterhof des Ruhrtor 1 in Essen-Werden ist unspektakulär: Gewerbe, Parkplatz, Kleinbetriebe. Doch hinter einer unscheinbaren Tür öffnet sich in der ersten Etage ein heller Raum, in dem Kunst als Lebensprinzip funktioniert. Leo Namislow, 1983 in Essen geboren, teilt sich hier mit zwei Kollegen eine offene Atelierfläche – ohne Parzellen, dafür aber mit der Chance auf gegenseitige Inspiration. „Es ist total schön, dass wir dabei so unterschiedlich sind“, sagt der Künstler, während er zwischen großformatigen Leinwänden, Arbeitstischen voller Farbe und seinem Lagerbereich navigiert, den er zu seiner persönlichen Werkschau gemacht hat. Hier wird sichtbar, wie vielseitig, tiefgründig und gleichzeitig verspielt ein Künstler denken kann.

Der gelernte Steinmetz und ehemalige Animationsfilmer ist ein Grenzgänger zwischen Malerei, Plastik und Street-Art. Seine Ausbildung in Rheinland-Pfalz prägte nicht nur seine handwerkliche Präzision, sondern auch seinen Umgang mit Material und Zufall. „Ich bin zwar ein Tollpatsch“, sagt er lachend, „aber ich habe gelernt, aus Fehlern Profit zu schlagen“. Ein kleiner Fleck kann bei ihm das Tor in eine neue Galaxie öffnen – eine Haltung, die auch Unternehmer kennen sollten, wenn in Krisen kreative Lösungen gefragt sind.

Empathie als Signatur

Leo Namislows bekannteste Arbeiten sind seine Einstrich-Serien: Mit buchstäblich einem einzigen, ununterbrochenen Strich entstehen wimmelartige Kompositionen aus Gesichtern,  Alltagsgegenständen und abstrakten Formen. In diesen meditativen Zeichnungen spart er Buchstaben aus – ein Echo seiner Steinmetzzeit, wo Schriftzeichen präzise aus dem Stein geschlagen wurden. Das Wort „EMPATHIE“ taucht dabei auf. Warum? „Das ist es doch, was unserer Gesellschaft heute fehlt“, sagt Namislow mit Nachdruck. „Ich behandle die Menschen so, wie ich selbst behandelt werden möchte“, lautet seine Maxime, und dieses respektvolle umgehen kommt seiner Meinung nach heutzutage viel zu kurz.

Diese Einstrich-Technik ist inzwischen sein Signatur-Stil. Er hat sie vom Fineliner über die Sprühdose bis zur Airbrush weiterentwickelt, zuletzt sogar performativ bei einer Lesung – 86 Minuten am Stück, 2,30 Meter auf 1,90 Meter. „Meditation auf Zeit“, nennt er das und ist nach Ablauf dieser Non-Stopp-Konzentrationsübung fix und fertig. Der Titel jedes dieser Bilder: die dafür exakt benötigte Zeit.

Diskurs in Schichten

Aktuell arbeitet Leo Namislow an großformatigen Bildern, die er „gemalte Argumente“ nennt. Mehrschichtig aufgebaute Farbflächen, Konturlinien und ornamentale Strukturen überlagern sich, öffnen sich an Schnittpunkten – ein visueller Dialog: „Es geht mir darum, dass wir uns nicht immer weiter voneinander entfernen, sondern im Gespräch aufeinander zubewegen sollten.“ Diese Bilder sind keine ab-strakte Theorie, sondern Ergebnis persönlicher Lebensgeschichte: Leo Namislow hat während der Corona-Zeit erlebt, wie vertraute Menschen abgedriftet sind und bald kaum noch ein konstruktives Gespräch möglich war. „Wenn man sich selbst öffnet, ist der Andere eher bereit, deine Argumente zu bedenken und anzunehmen“, hat er dann in intensiven Gesprächen erlebt und diese Erfahrung in seine Bildsprache übersetzt. Diese Bilder sind also Angebote zum Innehalten, zum Perspektivwechsel und zum Aushalten von Widersprüchen.

Kreative Vielfalt und Experimentierfreude ist in Leo Namislows Atelier omnipräsent. Spielzeugfiguren, Steine, Schwemmholz, sogar seine eigenen Arbeitstische werden zu Bildträgern. Aus einer Not heraus machte er mal eine Suppenkelle zum Malwerkzeug. Die Unberechenbarkeit der Lackverteilung wurde damit kreatives Prinzip. Und als dann auch noch Fliegen in der frischen Farbe landeten und ihre Spuren hinterließen nannte er die Serie einfach „I painted flies with flies“! Erneut ein Beispiel, wie ein unerwartetes „Unglück“ die Tür in eine neue Dimension öffnen kann. Die Dynamik der Suppenkellen-Malerei hat Leo Namislow mittlerweile zu einem weiteren Charakteristikum seiner Kunst gemacht – expressive Porträts von Clubgängern sind so entstanden, die wie orthodoxe Heiligenbilder anmuten.

Ausstellung im Dezember

Im Dezember 2025 wird Leo Namislow wieder einmal gemeinsam mit der Künstlerin Ursula Meyer ausstellen. Gezeigt werden die beschriebenen großformatigen „gemalten Argumente“, seine Einstrich-Arbeiten und weitere ornamentale Bilder – Werke, die Raum zum Denken geben. Für Unternehmer aus dem Ruhrgebiet ist das eine Gelegenheit, Kunst nicht als Dekoration kennenzulernen, sondern als kreatives Werkzeug auch im Business: Namislows Bilder provozieren Dialoge, fordern Offenheit und demonstrieren, dass aus vermeintlichen Fehlern die besten Lösungen entstehen können. Leo Namislow sieht sich als „Homo Ludens“ – als spielenden Menschen. Er ist Autodidakt, hat bewusst auf ein Kunststudium verzichtet, um sich nicht festlegen zu müssen. „Ich kann mich frei entfalten – das ist meine Stärke“, sagt er. Diese Freiheit erfordert aber auch unternehmerisches Denken. Künstler müssen auch kalkulieren, präsentieren, überzeugen. Die Fähigkeit, mit Zufällen produktiv umzugehen, aus Fehlern Potenziale zu entwickeln – das sind Kompetenzen, die auch in Unternehmen gefragt sind. Leo Namislows Kunst ist also ein Trainingsplatz für genau diese Haltung: Neugier statt Angst, Dialog statt Monolog, Empathie statt Ego. Wer sich diese Bilder ins Büro hängt, der kauft nicht nur Dekoration – er kauft eine Einladung zum Umdenken.

Über den Künstler

Name: Leo-Leander Namislow

Geburtsdatum: 1983

Geburtsort: Essen

Aktueller Wohnort: Essen

Stilarten: Malerei, Zeichnung, Plastik/Skulptur, Wandmalerei/Street Art, Installation

Ausbildung: 2000–2007: Ausbildung und Tätigkeit als Steinbildhauer bei Faller Niederhausen (Rheinland-Pfalz); anschließend Arbeit in Frankfurter Produktionsfirma für Animationsfilme; seit 2007 freischaffender Künstler in Essen

Ausstellungshistorie

2024: „SHORT CUT 2 – Urban Art Preview“, Kulturbunker Köln-Mülheim (Gruppenausstellung)

2024: „Schlagzeug trifft Leinwand“, Ruhrtor 1 Atelier, Essen (Performance/Ausstellung)

2023: „Vol. 1“, Galerie Gutleut, Frankfurt (Großgruppenausstellung)

2021: STOA169, Polling/Oberbayern – Künstlersäulenhalle, initiiert von Bernd Zimmer (Daueraustellung)

2022: „BANDBREITE“, Ruhrtor 1 Atelier, Essen

2019: „MEET THE GIERLAPPENS“, RT1A Essen

2019: „Herr Scherin und das G“, Clowns & Pferde Galerie, Essen

2019: „Eyecandy“ (mit Ursula Meyer), RT1A Essen


www.leo-namislow.com
www.instagram.com/leo_namislow

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Fotostrecke

(© Constantin Fiene)

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Leo Namislow (© Pascal Bruns)

(© Constantin Fiene)

(© Constantin Fiene)

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