Wieso gibt es kein deutsches Google? Weshalb wurde Facebook von einem US-Amerikaner erfunden und großgemacht? Warum sind sämtliche maßgeblichen Computer-Betriebssysteme zwischen Android, iOS und Windows keine Erfindungen aus deutschen Landen? Fragen wie diese wurden in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren zuhauf gestellt. Sowohl von Politikern, Medienschaffenden wie Unternehmern.
Die Antworten sind unterschiedlicher Natur, zwischen den Zeilen schwingt jedoch immer mit, dass Deutschland eine Wüstenei, ein Entwicklungsland, ein Small Player sei, was die Tech-Branche anbelangt. Ausgesprochen sind derartige Vorwürfe schnell, doch wie verhält es sich in der Realität: Ist Deutschland wirklich auch abseits seiner bekannten Internetausbau-Problematiken ein Hinterbänkler in Sachen Digitalisierung? Und wenn es stimmt, worin liegen die Gründe?
Warum die Anwürfe per se überzogen sind
„Deutschland hat in der Tech-Welt nichts zu melden“. Es braucht nur etwas gesunden Menschenverstand, um zu erkennen, dass eine derartige Verallgemeinerung zumindest hinterfragungswürdig ist – so, wie es die allermeisten Generalisierungen sind.
Denn dass die Bundesrepublik auf dem Gebiet der zeitgenössischen digitalen Technik gar nichts zu vermelden hätte, ist bei Lichte betrachtet ein unhaltbarer Vorwurf. Fangen wir bei etwas Grundlegendem an, was für viele Menschen und auch Firmen der Inbegriff von Tech ist, Social Media. Natürlich, das erste große Sozialnetzwerk, MySpace, wurde ebenso in den USA ersonnen wie Facebook. Dabei scheinen viele jedoch zu vergessen, dass Deutschland Mitte der 00er Jahre hier ebenfalls mit sehr gutem Beispiel voranging.
Denn als Facebook noch primär ein Portal für US-Studierende war, wurde hierzulande wer-kennt-wen.de gegründet und außerdem das Projekt der vz-Netzwerke (u.a. studivz.de).
Wer-kennt-wen.de schaffte es zu seinen Spitzenzeiten, mehr als zehn Prozent der deutschen Bevölkerung zu versammeln, gehörte noch 2012 zu den zehn meistbesuchten deutschsprachigen Internetportalen – zu einer Zeit, als Social Media überhaupt erst breitgesellschaftlich Fahrt aufnahm. Auch war nicht allein das Emporkommen von Facebook für den Niedergang der 2006 von zwei Koblenzer Studenten gegründeten und 2014 abgeschalteten Plattform verantwortlich, sondern nach einhelliger Meinung vieler Nutzer vor allem eine Design-Umstellung. Sie sorgte dafür, dass das zuvor für seine Einfachheit vielgelobte Portal nicht mehr verfangen konnte und noch mehr User verlor.
Kaum ein anderes Land konnte ein dermaßen starkes, indigenes Sozialnetzwerk vorweisen. Auch heute ist dies nur in denjenigen Ländern so, in denen der Staat restriktiv gegen Meinungsfreiheit vorgeht – namentlich Russland und China, wo Facebook nur ein schwaches Standing hat (Russland) oder gar gesperrt ist (China) und stattdessen einheimische Plattformen vorherrschen.
Doch es ist nicht nur Social Media, wo Deutschland durchaus respektable Tech-Meriten vorzuweisen hat. Und auch nicht nur die Vergangenheit.
- So gibt es hierzulande mit ifesca einen bedeutenden Akteur in Sachen künstlicher Intelligenz mit Schwerpunkt Prognostizierung und Automatisierungin der Energiewirtschaft.
- Wir haben einen Entwickler mobiler Spiele, Kolibri Games, der erst kürzlich für einen dreistelligen Millionenbetrag zu 75 Prozent an den Gaming-Giganten Ubisoft verkauft wurde.
- Wir haben mit SAP den drittgrößten, an der Börse gehandelten Softwarehersteller der Welt, der ohne Übertreibung in seinem Gebiet in einem Atemzug mit Namen wie Oracle und Sage genannt werden darf.
- Es gibt mit Zalando einen Online-Modehändler, der außerhalb Europas sogar kein echtes Pendant hat, selbst in den USA nicht.
- Und ja, trotz Skandal muss hier auch Wirecard genannt werden. Das Unternehmen war über Jahre hinweg einer der maßgeblichen globalen Motoren in Sachen bargeldloser Zahlung.
Nicht zuletzt muss auch das Gesamtbild betrachtet werden: Eine neue Studie von Deloitte bringt ans Licht, dass der Tech-Sektor längst nicht nur einer der wichtigsten Wirtschaftszweige (und BIP-Erzeuger) der Republik ist, sondern auch in zahlreichen Sparten ausnehmend innovativ agierend operiert – nicht bloß reagierend.
Zusammengefasst: Es ist schlicht und ergreifend unwahr, dass Deutschland in Sachen Digitaltechnik aus unternehmerischer Sicht der Welt vollkommen hinterherhinkt. Das Land kann im Gegenteil eine Menge innovativer Entwicklungen und Unternehmen vorweisen – auch gegenwärtig.
Allerdings lässt es sich nicht von der Hand weisen, dass Deutschland eben auch ein Silicon Valley fehlt und dass das Land global nicht gerade in einem Atemzug mit beispielsweise den USA genannt wird, vor allem, was die Tech-Gründerkultur anbelangt. Manches davon lässt sich mit einem schlichten Image-Problem erklären. Anderes ist jedoch auch hausgemacht.
Warum die Anwürfe auch einen wahren Kern haben
Warum es kein deutsches Facebook (mehr) gibt, wurde bereits erläutert. Das erklärt aber längst nicht, warum es hierzulande vielfach an jenen kleinen, mutigen Startups mangelt, welche für die Tech-Branche generell so bezeichnend sind. Zwar wurde auch 2020 die