Die Vorstellungsgespräche sind abgeschlossen, alle relevanten Entscheidungen getroffen und der zukünftige Mitarbeiter hat den Arbeitsvertrag unterschrieben. Und jetzt? Jetzt beginnt eine Einarbeitungs- und Integrationsphase, die heutzutage auch als „Onboarding“ bekannt ist. „Onboarding sollte vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungstrends wie dem demografischen Wandel, der Verknappung der Arbeits- und Fachkräfte und der Digitalisierung als zentraler und strategierelevanter Prozess betrachtet werden“, erklärt Katharina Tiemann von der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen. „Zum einen ist Onboarding nicht ausschließlich ein interner Ablauf, sondern wirkt sich positiv auf die Arbeitgebermarke und durch Bewertungen und Empfehlungen auch auf die Außenkommunikation aus.“ Zum anderen kann eine strukturierte Einarbeitungsphase gezielt die Fluktuationsquote reduzieren und somit potenzielle Mehrkosten, beispielsweise durch Austritt von Mitarbeitenden, Übergangsmaßnahmen und Mehrbelastung verhindern. Logisch, dass Mitarbeiter, die zielgerichtet, menschen- und aufgabenorientiert eingearbeitet werden schneller ihre volle Leistungsfähigkeit ausschöpfen können. „Ein strukturierter, professionell angeleiteter Prozess vermittelt psychologische Sicherheit und legt den Grundstein für eine langfristige Bindung der Mitarbeitenden“, erklärt die Psychologin. „Klarheit über Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Prozesse schafft eine gesteigerte Selbstwirksamkeitserwartung und ermöglicht eine effektive Lernkultur, die damit auch den Weg für langfristiges Lernen im Unternehmen bildet.“
Lassen wir Zahlen sprechen
Ein starker Onboarding-Prozess verbessert die Mitarbeiterbindung um 82 Prozent und steigert die Produktivität neuer Mitarbeiter um über 70 Prozent. Diese Zahlen stammen aus einer Studie der US-Amerikanischen Brandon Hall Group mit dem plakativen Titel „The true cost of a bad hire“ (die wahren Kosten einer Fehlbesetzung). Gleichzeitig bleiben 69 Prozent der Mitarbeiter mit einer außergewöhnlich guten Onboarding-Erfahrung mindestens drei Jahre bei ihrem Arbeitgeber. Im Gegenteil dazu haben rund 18 Prozent der Bewerber schon einmal während der ersten 100 Tage einen neuen Job gekündigt. Das ist ein Ergebnis der Softgarden-Umfrage „Onboarding Reloaded 2022″, für die mehr als 2.000 Bewerber befragt wurden. Als Gründe nennen die Befragten neben der schlechten Einarbeitung auch eine große Diskrepanz zwischen den Versprechungen während der Bewerbungsphase und der Jobrealität. Der Anteil der Beschäftigten, die bereits nach 100 Tagen auf dem Absprung sind, ist zudem seit 2018 gestiegen.
Die Investition in ein durchdachtes Onboarding-Programm zahlt sich messbar aus. Arbeitgeber mit aktivem und effektivem Onboarding verzeichnen ein 2,5-faches Umsatzwachstum und ein 1,5-faches Gewinnwachstum im Vergleich zu Unternehmen mit weniger effektiven Programmen. Diese beeindruckenden Zahlen resultieren aus mehreren Faktoren: reduzierte Fluktuation, schnellere Time-to-Productivity und höheres Mitarbeiterengagement.
Transparenz und Einbindung
Welche Fehler sollte man als Unternehmen beim Onboarding-Prozess also nicht machen, fragen wir Katharina Tiemann. „Onboarding ist kein Selbstläufer. Der Prozess ist zeitintensiv, bindet Ressourcen und will gut durchdacht sein“. Denn die Onboarding Phase startet nicht am ersten Arbeitstag, sondern weit davor. „Vom Zeitpunkt der beiderseitigen Zusage benötigt es regelmäßige Kommunikation sowie einen kontinuierlichen Informationsfluss, um eine erste Einbindung in das Team und die zukünftige Aufgabe zu gestalten.“ Auch in den ersten Arbeitstagen zahlt ein transparenter und gut strukturierter Einarbeitungsprozess auf den positiven ersten Eindruck ein. Außerdem gilt es, Aufgaben und Verantwortungsbereiche von Beginn an distinkt zu übertragen und dabei Unterstützung, gegebenenfalls Anleitung und insbesondere zu Beginn hochfrequentierte Gesprächsangebote zu machen, um Überforderung und Orientierungslosigkeit entgegenzuwirken. Insbesondere die Einbindung in das Team durch gemeinsame Aktionen, Kennenlernmöglichkeiten und auch Schnittstellen anderer Abteilungen stellt eine zentrale Stellschraube dar, denn nichts wirkt schlimmer als sich in einem fremden Umfeld allein gelassen zu fühlen. Zuletzt sind regelmäßige Feedback- und Evaluationsgespräche unerlässlich, um wechselseitig Erwartungen, Erfahrungen und Bedürfnisse austauschen und greifbar machen zu können.
„Gibt es das optimale Onboarding?“
„Die kurze Antwort: Nein – aber es gibt wirksame, anpassungsfähige und lernfähige Prozesse. Der perfekte Onboarding-Prozess ist ein Ideal, das in der Praxis immer vom Kontext abhängt. Unternehmen, Rollen, Kulturen und Menschen sind unterschiedlich – und genau das macht eine pauschale Perfektion unmöglich. Ein einheitlicher Prozess für alle Rollen, Abteilungen oder Standorte stößt schnell an Grenzen. Die Anforderungen an eine Position X sind im Normalfall kaum vergleichbar mit den Anforderungen an eine Position Y und der Standort Köln verfügt vielleicht über andere Prozesse und Abläufe als der Standort München. Standardisierung kann eine erste Orientierung geben – aber zu viel „One Size Fits All“-Konformität wirkt schnell unpersönlich und ineffizient. Aus psychologischer Perspektive betrachtet ist Onboarding ein emotionaler Prozess. Sicherheit, Vertrauen und Zugehörigkeit sind zentrale Faktoren für einen guten Start in eine neue Tätigkeit. Diese werden jedoch nicht allein durch strukturierte Abläufe erzeugt, sondern durch Beziehungsarbeit und Kommunikation. Was für den einen hilfreich ist, kann für den anderen überfordernd wirken – individuelle Bedürfnisse spielen eine zentrale Rolle. Auch Führung und Unternehmenskultur sind entscheidend: Selbst der beste Prozess verliert an Wirkung, wenn Führungskräfte ihn nicht aktiv mittragen oder den persönlichen Kontakt vernachlässigen. Onboarding ist keine rein administrative Aufgabe, sondern auch oder vor allen Dingen eine Frage der Einstellung und des gelebten Miteinanders.“
Teilen: