Personal

Fachkräftemangel in der Industrie

Das schmerzt die Betriebe in der Industrie gewaltig: Knapp die Hälfte müssen Aufträge ablehnen oder können keine Angebote schreiben, weil ihnen die Fachkräfte fehlen, um die Aufträge abzuarbeiten. Wir haben uns in der Metall- und Elektroindustrie in NRW umgehört, was zu tun ist, um die Situation zu verbessern.

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von Klaus Dr. Heimann 17.01.2024
(© beast01 − stock.adobe.com)

Arndt G. Kirchhoff, Präsident des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen, setzt große Erwartungen in das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Im Interview mit den Tagesthemen im Ersten TV-Programm begrüßte er, „dass bei der Qualifikation die Hürden runtergenommen“ sind. Schließlich brauche die Industrie nicht nur Fach-, sondern auch Arbeitskräfte, so Kirchhoff.
Zudem mahnte er an, Potenzial im Inland endlich zu heben. Er schlug vor, das Arbeitszeitgesetz zu „flexibilisieren“. „Es könnte auch nicht schaden, wenn wir vorübergehend zwei Stunden mehr pro Woche arbeiten“. Das müsse „ja nicht für immer sein“. Zudem könnten mehr Frauen arbeiten, wenn mehr Kindergartenplätze zur Verfügung stünden. Er plädierte dafür, die Rente mit 63 abzuschaffen. „Wir haben Arbeit ohne Ende“, so Kirchhoff, „und wir würden sie gern schneller machen.“ 

Leichte Entspannung, aber keine Entwarnung

In das gleiche Horn bläst Hans-Jürgen Alt, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) in NRW, wenn er als Begründung für das Ende der Rente mit 63 auf den demografischen Wandel verweist. Im Interview mit Regio Manager betont er, dass im Maschinen- und Anlagenbau dadurch bei den Fachkräften viele Lücken entstanden sind „Es gibt einfach zu wenig Nachwuchs und geburtenstarke Jahrgänge gehen in Rente. Insbesondere die Rente mit 63 hat dazu geführt, dass viele Fachkräfte frühzeitig ausgeschieden sind. Dadurch wächst die Arbeitskräftelücke.“
Alt schaut genau hin, wenn er über die fehlenden Kräfte spricht. Vieles deutet kurzfristig auf eine leichte Entspannung bei der Arbeitskräftelücke hin. Nach Daten der Bundesagentur für Arbeit hat sich im Herbst 2023 im Maschinen- und Anlagenbau die Lage etwas entspannt. „70 Prozent der offenen Stellen zielten auf Fachkräfte“, erläutert Alt. Von den Betrieben der Branche nachgefragt sind in erster Linie (Top-Five) einschlägig vorqualifizierte MINT-Fachkräfte* für die spanende Metallbearbeitung, für Maschinenbau/Betriebstechnik/Mechatronik, für elektrische Betriebstechnik und Schweiß-Verbindungstechnik.
Mittelfristig erwartet Alt allerdings keine Entspannung beim Fachkräftebedarf, vor allem dann nicht, sollte die Konjunktur in der Branche im Jahr 2024 wieder anzieht. „Unsere Blitzumfrage bei den Firmen in NRW zeigt, dass für 66 Prozent der Firmen der Fachkräftemangel ‚gravierend‘ (13 Prozent) oder ‚merklich‘ (53 Prozent) ist.“ 26 Prozent rechnen in den nächsten drei Monaten mit einer weiteren Zunahme, während 6 Prozent eine Abnahme des Fachkräftemangels sehen, berichtet der VDMA-Geschäftsführer aus Düsseldorf.

Weniger Bedarf an Metallberufen, aber mehr in der Elektrotechnik

Dass der Fachkräftemangel im MINT-Sektor keineswegs vorbei ist, bestätigt Alexander Burstedde, der beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln die Forschungsschwerpunkte Fachkräftemangel und Demografie verantwortet. Sein jüngstes Forschungsergebnis ist die „Arbeitsmarktfortschreibung 2023“. Dabei geht es um Beschäftigung und Fachkräftemangel in 1.300 Berufsgattungen, wie es so schon altmodisch heißt. In 255 der 1.300 Berufsgattungen steigt die Fachkräftelücke bis 2026. Nur in acht Berufsgattungen dürfte sich die Fachkräftelücke im selben Zeitraum verringern. Dazu gehören die Berufe zur Metallerzeugung und -bearbeitung. Hier gab es einen Rückgang bei den Beschäftigten um 120.300 (minus 10 Prozent). Den größten Rückgang bei den gesuchten Fachkräften vermuten die IW-Forscher bei der spanenden Metallbearbeitung (zum Beispiel Zerspanungsmechaniker). Es sieht nach den Prognosen des IW so aus, als führe der Transformationsprozess in der Branche immer stärker weg von den Metall- hin zu den Elektroberufen.
Trotz der Verschiebungen, zeigt der „MINT-Herbstreport 2023“ des IW, dass noch ordentlich Druck auf dem „Fachkräfte-Kessel“ ist. Der Fachkräftemangel in den MINT-Berufen ging 2023 durch die schlechte Konjunktur leicht zurück, bleibt aber insgesamt auf hohem Niveau. Die MINT-Lücke lag im September 2023 immer noch bei 285.800 Fachkräften (Vorjahr: 326.100).

Fehlende Fachkräfte, weniger Aufträge

Fehlende Fachkräfte hat erhebliche Auswirkungen auf die Betriebe, wie sie dem „DIHK-Fachkräfte-Report“ anvertrauten. Knapp die Hälfte der Betriebe müssen Aufträge ablehnen oder können nur begrenzt Angebote abgeben. 61 Prozent klagen über die Mehrbelastungen bei den Belegschaften, die zu höheren Krankenständen führen. Darauf haben zumindest die KKH und die DAK-Krankenkassen hingewiesen.

„Vollständig beheben lässt sich der Fachkräftemangel nicht mehr. Das wird dazu führen, dass wir in diesem Land Wohlstand verlieren.“
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger

Wenig Hoffnung macht sich VDMA-Chef Hans-Jürgen Alt, dass die 712.500 Arbeitslosen in NRW (bundesweit im Oktober 2,16 Mio.) helfen können, die Lage zu entspannen. „In unserer Industrie wird hochqualifiziertes Personal benötigt – Arbeitslose werden diesen Anforderungen nur selten gerecht.“ Welche anderen Möglichkeiten sieht der VDMA, um die freien Arbeitsplätze in seiner Branche zu besetzen? „Die Möglichkeiten, auf den Fachkräftemangel kurzfristig zu reagieren, sind begrenzt. Bewährt hat sich die Ausbildung eigener Fachkräfte“, berichtet Alt. Viele Maschinenbau-Betriebe würden ausbilden – allerdings lasse die Qualifikation der Bewerber zu wünschen übrig und reiche oft nicht für die Anforderungen.
Alt weiß natürlich, dass es die eine und perfekte Lösung nicht gibt. Fort- und Weiterbildung von Ungelernten oder geringqualifizierter Beschäftigten gehöre zu den längerfristigen Maßnahmen. Das gelte ebenso für Versuche, die Erwerbsquote von Frauen in Deutschland („Immerhin bereits die dritthöchste in der EU“) weiter zu steigern. „Bleibt die Einwanderung von Fachkräften, insbesondere aus Drittstaaten. Allerdings wird auch sie das Problem bestenfalls lindern, aber nicht lösen, zumal die Industrieunternehmen, Arbeitskräfte mit speziellen Fertigkeiten suchen“, so der VDMA-Chef.
Die Unternehmensberatung McKinsey & Company in Düsseldorf bringt jetzt noch eine andere Idee ins Spiel: KI-Textbots wie ChatGPT oder Googles Bard, Bildgeneratoren wie Stable Diffusion oder Midjourney oder andere Systeme für generative Künstliche Intelligenz (GenAI) könnten den Fachkräftemangel in Deutschland spürbar lindern. Zu kompliziert darf die Arbeit für die KI allerdings nicht sein.

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Arndt G. Kirchhoff, Präsident des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen

(© beast01 − stock.adobe.com)

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